Die Deutsche - Angela Merkel und wir
beschloss 2003 den Ausstieg bis 2026, Spanien 2006 die Stilllegung der Kraftwerke bis 2024, die Schweiz 2011 das Auslaufen der Atomenergie bis 2033. Überall war die Diskussion von einem steten Hin und Her zwischen verlängerten und verkürzten Laufzeiten geprägt, ähnlich wie in Deutschland und je nach Farbe der aktuellen Regierung. Vollständig zurückgenommen wurden die Ausstiegsbeschlüsse nirgendwo. Das Unglück von Fukushima hat auch in stark atomabhängigen Ländern wie Frankreich oder eben Japan zumindest zu einer neuen Debatte über die Risiken der Technologie geführt.
Merkel hatte die ökologische Sehnsucht der Deutschen lange mit ihrer Klimapolitik bedient, das kam ihrem naturwissenschaftlichen Naturell entgegen: So berechenbar ihr die zivile Nutzung der Atomenergie zu sein schien, so wenig konnte sie über den Zusammenhang von Kohlendioxid-Ausstoß und Erderwärmung hinwegsehen. Das Thema hatte darüber hinaus den Vorteil, dass internationale Abmachungen über den Ausstoß von Treibhausgasen keine unmittelbaren Einschnitte für die inländische Wählerschaft nach sich zogen. Außerdem konnte die Kanzlerin mit den Klima-Beschlüssen des G-8-Gipfels von Heiligendamm anderthalb Jahre nach ihrem Amtsantritt einen großen Erfolg auf internationalem Parkett feiern, aufbauend auf eigenen Erfahrungen, die sie als Umweltministerin auf Gipfeltreffen gesammelt hatte.
Die Lust auf das Thema verlor sie am 18. Dezember 2009. An dem trüben und eiskalten skandinavischen Wintertag scheiterte in dem Betonklotz eines Kopenhagener Tagungszentrums die Klimakonferenz der Vereinten Nationen. Tags zuvor war Merkel höchst persönlich in der Hoffnung angereist, sie könne sich abermals als Retterin des Weltklimas profilieren. Aber am Ende hatten die Europäer dort nichts mehr zu melden. Der chinesische Premierminister Wen Jiabao bemühte sich gar nicht erst in die Tagungshallen, er hielt in seinem Hotel Hof und ließ sich zu keinen Zugeständnissen bewegen. Schließlich erschien der amerikanische Präsident Barack Obama eigenmächtig bei den großen Schwellenländern und handelte mit den Chinesen einen Minimalkonsens aus, der weit hinter den europäischen Wünschen zurückblieb. Seitdem hat diedeutsche Kanzlerin nicht mehr viel über den globalen Klimaschutz geredet. Sie findet, dass sich die Deutschen bei dem Thema Illusionen machen, was die globale Diskussionslage betrifft.
Die Verlängerung der Atomlaufzeiten, die Angela Merkel im Sommer 2010 auf den Weg brachte, muss man auch im Zusammenhang mit der Desillusionierung von Kopenhagen sehen. Trotzdem stellten sich danach zwei Fragen: Wie würde sie den Ruf der Atomkanzlerin los, wenn er für sie nicht mehr opportun wäre? Und vor allem: Was würde sie tun, sollte es irgendwo auf der Welt zu einem neuen Atomunfall kommen, zu einem zweiten Tschernobyl?
Die Antwort ließ weniger lange auf sich warten, als jeder Zweifler gedacht hätte. Am Nachmittag des 11. März 2011, also nur ein halbes Jahr nach dem »Atomgipfel« im Kanzleramt, löste ein Erdbeben an der japanischen Küste einen Tsunami aus, der das Atomkraftwerk Fukushima beschädigte und vier von sechs Reaktorblöcken außer Kontrolle brachte. »Das war’s«, soll Merkel noch an jenem Freitag im kleinen Kreis über die Zukunftsaussichten der Atomkraft in Deutschland geäußert haben. Auch die beiden Ministerpräsidenten, die im Vorjahr so vehement längere Laufzeiten verlangt hatten, drängten die Kanzlerin nun zum Handeln: Stefan Mappus, dem nur noch zwei Wochen bis zur Landtagswahl blieben, und Horst Seehofer, der sich auf neue Stimmungslagen stets einzustellen weiß.
Schon am folgenden Montag verkündete die Regierung ihren Beschluss, alle deutschen Kernkraftwerke auf ihre Sicherheit zu überprüfen und die ältesten Reaktoren sofortstillzulegen – für drei Monate, wie es zunächst hieß. In der Zwischenzeit sollte eine »Ethikkommission für eine sichere Energieversorgung« unter dem Vorsitz des früheren Bundesumweltministers Klaus Töpfer Vorschläge für das weitere Vorgehen machen. Dass Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) auf einem Treffen mit Industrievertretern andeutete, das Moratorium sei lediglich mit Blick auf die Landtagswahlkämpfe erlassen worden, wirkte nicht im Sinne seiner Position: Sollte irgendjemand in der Regierung den Hintergedanken gehabt haben, den Teilausstieg wieder rückgängig zu machen, war dieser Weg nun abgeschnitten. So kam die Töpfer-Kommission zu dem politisch erwarteten
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