Die Deutsche - Angela Merkel und wir
ist.
KAPITEL 5:
IDENTITÄTEN
Zum neunzigsten Jahrestag des Frauenwahlrechts hat Angela Merkel ins »Amphitheater« des Kanzleramts geladen, auf die große überdachte Treppe mit Blick hinaus in Richtung Reichstagsgebäude. Seit mehr als drei Jahren ist sie nun die Hausherrin in der von Helmut Kohl sehr männlich dimensionierten Regierungszentrale. Am 26. Januar 2009 stehen fast ausschließlich Frauen auf der Gästeliste. Die Ministerinnen von Union und SPD sitzen in der ersten Reihe, auch das frühere FDP-Mitglied Hildegard Hamm-Brücher und die »Emma«-Herausgeberin Alice Schwarzer. Schwarzer hat zu diesem Anlass einen kleinen Sammelband herausgegeben: »Damenwahl. Vom Kampf um das Frauenwahlrecht zur ersten Kanzlerin«. Mit Merkel rundet sich also, was 1919 begann, so lautet die Botschaft.
Die Kanzlerin hat zu diesem Zeitpunkt gerade erst damit begonnen, ihre Rolle als Frau in der Politik herauszustellen. Mit gespielter Arglosigkeit hatte sie kurz zuvor in einem Zeitungsgespräch mit der jungen ostdeutschen Autorin Jana Hensel erklärt: »Ich glaube, dass ich, je längerich in der Politik bin, mein Frausein sogar offener thematisiere.« Gelernt hatte sie vielleicht auch aus dem Vorwahlkampf in den Vereinigten Staaten, als Hillary Clinton ihrem Konkurrenten Barack Obama unterlegen war. »Hillary Clinton hat auf eine traditionelle Art versucht, Wahlkampf zu machen«, sagte Hensel in dem Gespräch. »Dabei hat sie ihr Frausein kaum thematisiert. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Barack Obama jedoch hat auf eine neue Art versucht, als Schwarzer Politik zu machen, und er hat es geschafft, seine Rolle zu verwandeln.«
Neu war auch, dass Merkel immer offener mit ihrer Identität als Ostdeutsche umging. »Es wird immer Dinge geben, die mich an den Osten, an mein Zuhause in der Uckermark erinnern«, sagte sie ungefähr zur gleichen Zeit der Zeitschrift Cicero und schob hinterher: »Wenn ich durch die alten Bundesländer reise, sehe ich viele Stadthallen, Schulen, Verwaltungsgebäude aus den Sechziger- und Siebzigerjahren, wohingegen im Osten vieles neu ist.« Der Satz sorgte im Osten für große Aufregung. In Wahrheit war er ein Affront gegen allzu selbstgewisse Westdeutsche, denen die Politikerin aus Templin generös Aufbauhilfe anbot. Dreieinhalb Jahre später antwortete Merkel im Magazin der Süddeutschen Zeitung auf Fragen von Prominenten. Es ging unter anderem um den »größten Mist«, den sie als Jugendliche gebaut habe: »Mit einem neuen Trainingsanzug aus einem Westpaket in eine harzige Baumhöhle zu kriechen.« In dem Satz ist alles versammelt, die putzige Angela, wie sie die Deutschen lieben, eine karge Kindheit, wie sie Spitzenpolitikern zum Vorteil gereicht, Merkels Bodenständigkeit. Und vor allem: sehr viel Osten.
Bis zur Bundestagswahl 2005 hatte es Merkel umgekehrt gemacht. Sie sprach nicht über Frauenthemen, mied alles Ostdeutsche, suchte sich an die westdeutschen Männer in den eigenen Reihen anzupassen. Das Ergebnis war, dass die Kandidatin Merkel von weniger Frauen gewählt wurde als drei Jahre zuvor der Kandidat Edmund Stoiber. Bei jüngeren Frauen in Ostdeutschland kam sie gerade einmal auf 20 Prozent der Stimmen. Mit ihrer Verdruckstheit hatte Merkel die Frauen enttäuscht, ohne im Gegenzug die Männer zu gewinnen.
Von der Zustimmung der Regionalkonferenzen getragen, hatte sie nach der Spendenaffäre als Hoffnungsträgerin den Parteivorsitz übernommen. Das Fremdeln mit der Frau aus dem Osten setzte jedoch bald wieder ein, vor allem bei den einflussreichen Männern, die sie als Vorsitzende des Übergangs betrachteten. Je stärker das Pendel zurückschlug, desto mehr führte sich die Physikerin auf, als zählte sie selbst zu den konservativen Juristen aus dem Westen. Die angekündigte Erneuerung der Partei forcierte sie vorerst nicht, stattdessen suchte sie die größtmögliche Konfrontation mit der rot-grünen Bundesregierung und zog mit dem Ruf nach Bundeswehreinsätzen im Inland kühl kalkulierend an allen rechts vorbei. Das verschaffte ihr bei den Gegnern nur bedingt Kredit. Aus den konservativen Bastionen im Süden schallte die Kritik lauter denn je. Prompt thematisierte die Bild- Zeitung mit vergifteter Fürsorge das Frauenthema: »Machen die Männer Angela Merkel kaputt?«
Es schien, als würde es der CDU-Vorsitzenden ergehen wie dem rothaarigen Titus Feuerfuchs in JohannNestroys Wiener Posse Der Talisman. In einer Gesellschaft, die Rothaarige diskriminiert, stülpt sich Nestroys Held
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