Die Deutsche - Angela Merkel und wir
eine schwarze Perücke über wie Angela Merkel ihre ultrakonservativen Positionen. Und siehe da: Jener Titus Feuerfuchs, dem bislang niemand etwas zutraut, macht plötzlich Karriere – bis jemand auftaucht, der den Schwarzhaarigen noch aus der Zeit des roten Kopfschmucks kennt und Titus selbst einmal versehentlich eine blonde Perücke aufsetzt. Es kommt, wie es kommen muss: Die Tarnung fliegt auf. »Das stolze Gebäude meiner Hoffnungen«, stellt er ernüchtert fest, »ist assekuranzlos abgebrannt.« In seiner Lage, analysierte der Dramaturg Hermann Beil anlässlich einer Wiener Nestroy-Aufführung, müsse Titus »von Situation zu Situation unangenehmere Eigenschaften produzieren, um über die Runden zu kommen«.
Merkel wechselte so oft wie weiland Titus Feuerfuchs ihre Perücken. Als sie auf dem Stuhl der Parteivorsitzenden angekommen war, hofften manche in der CDU, das Stück mit Angela Merkel in der Hauptrolle sei damit schon zu Ende. Nicht nur bei Nestroy fing es aber mit der Enttarnung erst richtig an. »Ja, ich bin rot«: Dieser Ausruf wird für Titus Feuerfuchs zum Akt der Befreiung, ganz ähnlich wie der Halbsatz »… und das ist auch gut so«, mit dem der designierte Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit 2001 Berühmtheit erlangte. Für den Nestroy-Helden ist das Bekenntnis zu den roten Haaren der Beginn des wahren Glücks. Die Frage, wie es ein Rotschopf so weit bringen kann, erklärt er den erstaunten Mitmenschen ganz selbstbewusst: »Wirklichkeit ist immer das schönste Zeugnis für die Möglichkeit.« Es ist ein Satz, der als Motto über MerkelsParteikarriere stehen könnte. »Merkel bleibt Merkel, mit allen Risiken und Nebenwirkungen«: Mit dem feuerköpfigen Bekennermut des Nestroy-Helden war sie im Herbst 2000, ein halbes Jahr nach ihrer Wahl zur CDU-Chefin, vor die Delegierten der bayerischen Schwesterpartei getreten. Schon bei Nestroy brachten gerade die ärgsten Rothaar-Hasser den armen Titus Feuerfuchs in eine Lage, die ihn zum befreienden Bekenntnis zwang.
Auch Merkels Vorgänger Gerhard Schröder war in der Partei ein Außenseiter, der sich an den Gremien vorbei auf plebiszitärem Weg nach oben boxte. Aber er bediente ein Rollenbild, das vorgegeben war. Bei Merkel dagegen stellten sich neue Fragen: Konnte eine Frau die Auto-Kanzlerin geben, in jenem Milieu, wo sich die Luft aus Auspuffgasen und Testosterondunst mischt? Wie würde sie sich auf den Tribünen des Männer-Volkssports Fußball machen? Was sollte sie als Regierungschefin überhaupt anziehen, und wie war das mit der Frisur? Es dauerte ziemlich lange, bis solche Fragen verstummten. Und die Geschlechtsgenossinnen waren ihr oft keine Hilfe. Einige der wütendsten und persönlichsten Angriffe gegen Merkel stammten von Frauen. Dass ihre unmittelbaren Konkurrenten, lauter Männer, sie nicht mochten, war hingegen aus Wettbewerbsgründen verständlich. Aber in welchem Maße sie die Gegnerin unterschätzten, das war nur mit der Annahme zu erklären, eine Frau und dazu eine Ostdeutsche werde sich sowieso nicht durchsetzen können.
Solange Merkels Position in der Partei nicht konsolidiert war, hatte sie kaum eine Alternative zur Strategie der Überkompensation. Die Vorstellung, als Frau müssesie im Berufsleben grundsätzlich anders auftreten als ein Mann, war der gelernten DDR-Bürgerin ohnehin fremd. »Frau Merkel«, eröffneten zwei Männer vom Spiegel Anfang 2002 ein Gespräch mit ihr, »Alice Schwarzer sieht Sie als Paradebeispiel für die Misere der Frauen in Führungspositionen: trotz demonstrativer Weiblichkeit nur halbe Frau, trotz erkämpfter Männlichkeit nur halber Mann.« Statt die beiden Herren gleich wieder hinauszuwerfen, antwortete Merkel knapp: »Ich bin da optimistischer.« Dann folgte eine kurze rhetorische Reverenz an die westdeutsche Frauenbewegung der Siebziger- und Achtzigerjahre, die sie sogleich relativierte: »Spitzenpositionen werden in Zukunft nicht mehr nur im Wettstreit Frauen gegen Männer besetzt, sondern viel stärker über Interessenstrukturen.« Zu diesem Zeitpunkt konnten die Interviewer noch nicht ahnen, dass sie in Schwarzer eine spätere Unterstützerin der CDU-Vorsitzenden zitierten.
Der Weg zur politischen Normalität im Umgang mit der ersten weiblichen Vorsitzenden einer Volkspartei war jedoch weiter, als Merkel in diesem Interview unterstellt hatte. Schon in der alten Bundesrepublik hatte sich das linksliberale Milieu gern der Wunschvorstellung hingegeben, an der Speerspitze des globalen
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