Die Deutsche - Angela Merkel und wir
Wählerschaft im letzten Moment Zweifel bekam, ob eine Frau das Land wirklich führen könne.
Mit dem Einzug ins Kanzleramt änderte sich das. Die Aura der Macht hat der Kanzler oder die Kanzlerin ohnehin für sich, unabhängig vom Geschlecht. Er muss sie nicht mehr inszenieren. Bei Merkel kam hinzu, dass sie sich nach dem bescheidenen Wahlergebnis gegen beträchtliche Widerstände durchsetzte, gleich in den ersten Amtswochen ein schwieriges europäisches Gipfeltreffen bravourös zum Erfolg führte und auf dem internationalen Parkett eine souveränere Figur machte als von vielen vermutet. Auf einmal galt der Macho Schröder, der durch seine überstürzte Neuwahl-Entscheidung seiner Partei die Macht geraubt hatte und am Wahlabend in der BerlinerRunde einem hormongesättigten Auftritt hinlegte, nicht mehr als das große Vorbild. Ganz im Gegenteil freuten sich nun auch SPD-Ministerinnen über den verbindlichen Ton, den Merkel als Ausweis eines vermeintlich weiblichen Führungsstils an den Tag legte. »Frau Merkel moderiert das Kabinett anders als Herr Schröder«, lobte die sozialdemokratische Justizministerin Brigitte Zypries bei der Feier des Frauenwahlrechts im Kanzleramt – um vorsichtshalber gleich hinterherzuschieben: »Aber Herr Steinmeier würde das Kabinett genauso moderieren wie Frau Merkel auch, weil sie von der Struktur her ähnlich sind.«
Der strukturell ähnliche Herr Steinmeier fuhr im Jahr 2009 das schlechteste SPD-Wahlergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik ein. Deshalb suchte die Sozialdemokratie vier Jahre später einen Kandidaten, der sich von Merkels tastendem Regierungsstil durch Klartext unterschied. Sie fand ihn in Peer Steinbrück, der als Finanzminister professionell mit der Kanzlerin zusammengearbeitet hatte, sich aber als Herausforderer bisweilen in die Vokabeln eines überholten Geschlechterkampfs verstrickte. Schon sechs Wochen bevor er zu Silvester 2012 über Merkels »Frauenbonus« lamentierte, hatte er ähnliche Töne angeschlagen, als ihn die Fernsehmoderatorin Anne Will für eine Sonderausgabe der taz zur Frauenquote interviewte. »Dass Frau Merkel als erste weibliche Chefin im Kanzleramt einen Bonus hat, auch bei weiblichen Wählern, das kann ich mir vorstellen«, erklärte er dort ganz sachlich. Als sein Pressesprecher Torsten Albig 2009 gegen die Kieler CDU-Oberbürgermeisterin kandidierte, schrieb Steinbrück per SMS: »Toll, wir hauen Püppi aus denPumps!« Auf die Frage, ob er sich bei der früheren Amtsinhaberin entschuldigt habe, sagte Steinbrück in dem Interview lediglich: »Warum!?«
Steinbrücks Wort vom »Frauenbonus« war auch das Eingeständnis, dass die SPD immer wieder mit dem Versuch gescheitert ist, Merkel einen Frauenmalus anzuhängen. So war der Kandidat Frank-Walter Steinmeier im Vorwahlkampf des Jahres 2009 nach Rüsselsheim gereist, um im Schröder-Sound den Arbeitern des kriselnden Autobauers Opel seine Solidarität zu bekunden. Es gibt in der deutschen Politik kaum eine männlichere Figur als den Regierungschef, der sich in Hemdsärmeln unter die Arbeiter begibt und die Dinge anpackt. Das gilt umso mehr, wenn es ums Auto geht, den Inbegriff aller Männerträume, und wenn dazu Arbeiter auftreten, mit Schweiß, Schwielen und Schnäuzer. Auf dieser Klaviatur spielten Merkels Rivalen, nicht nur Steinmeier und seine Sozialdemokraten, sondern auch die CDU-Ministerpräsidenten.
Vollzog sich mit dem Einzug der ersten Frau ins Kanzleramt eine Art nachholende Modernisierung des Landes, so sah sie sich als Ostdeutsche im Vergleich zur trägen Masse der Westdeutschen geradezu in einer Avantgarde-Rolle. »Wer hätte gedacht, dass das höchste Regierungsamt schon in diesem Jahr einer Frau übertragen wird? Das alles ist für viele von uns eine Überraschung und ich sage: manches davon auch für mich«, bekannte sie in ihrer ersten Regierungserklärung im November 2005. »Aber es ist nicht die größte Überraschung meines Lebens. Die größte Überraschung meines Lebens ist die Freiheit. Mit vielem habe ich gerechnet, aber nicht mit dem Geschenk der Freiheitvor meinem Rentenalter.« Als Schlussfolgerung für die Zukunft fügte sie hinzu: »Wenn Sie schon einmal im Leben so positiv überrascht wurden, dann halten Sie vieles für möglich.« Diesen Möglichkeitssinn, das war die Botschaft, hatte sie ihren Landsleuten aus der alten Bundesrepublik voraus.
Ihre DDR-Vergangenheit hob Merkel auch heraus, als sie am 3. Oktober 2006 in Kiel zum ersten Mal in der
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