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Die Deutsche - Angela Merkel und wir

Die Deutsche - Angela Merkel und wir

Titel: Die Deutsche - Angela Merkel und wir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Irak-Politik durch fast schon wundersame Fortune entkommen war, wandelte sie sich spätestens mit der Libyen-Entscheidung zu einer Radikalpazifistin, gegen die Schröder und Fischer mit ihren Interventionen im Kosovo und in Afghanistan fast schon als gefährliche Kriegstreiber erscheinen.
    Schröders halbe Emanzipation vom westlichen Bündnis, die immerhin noch durch das Einvernehmen mit Frankreich abgefedert war, ersetzte Merkel nun durch die volle Eigenständigkeit ihres außenpolitischen Handelns. Zur gleichen Zeit fiel der Bundesrepublik durch die Euro-Krise die Rolle der europäischen Führungsmacht zu. Beide Entwicklungen vermischten sich zum Gesamteindruck eines neuen deutschen Selbstbewusstseins als eigenständige Macht. Dabei wollte Merkel doch in beiden Fällen, beim Euro wie in Libyen, zunächst überhaupt nichts tun. Aber gerade der Versuch, sich der Verantwortung zu entziehen, wurde als Machtdemonstration aufgefasst: Das ist der Preis, den Deutschland für sein neues Gewicht als europäische Führungsmacht zahlen muss. Andere Länder nähmen, äußerte der Publizist Thomas E. Schmidt im Zusammenhang mit der Euro-Krise, »die deutsche Langeweile auch als machtbewehrten Nationalismus wahr«.
    Hatte der amerikanische Präsident den Eklat um Libyen schon vergessen, als er keine drei Monate später der Kanzlerinin Washington die Freiheitsmedaille verlieh und für die Besucherin ein Staatsbankett gab? Wohl kaum. »In Nordafrika unterstützen wir den Aufbruch in die Freiheit«, erklärte Merkel kleinlaut während der Begrüßungszeremonie. Doch die Visite, von Merkels Leuten als große Versöhnungsgeste interpretiert, wurde in den Vereinigten Staaten weitaus weniger wahrgenommen. Der Berichterstatter der Frankfurter Allgemeinen Zeitung merkte an, die Medaille werde pro Jahr ein Dutzend Mal vergeben, unter anderem an die Regierungschefs so bedeutender Länder wie Irland, Belgien und Liberia. Merkels Verhältnis zu Obama wird wohl niemals so innig werden wie zum Vorgänger George W. Bush, trotz des Deutschlandbesuchs im Juni 2013.
    Ausgerechnet die Kanzlerin, die bei den Deutschen so beachtliche Popularitätswerte erzielt, verstand sich glänzend mit dem hierzulande unbeliebtesten US-Präsidenten aller Zeiten – und fremdelt mit dem Mann, der zum Zeitpunkt seiner Wiederwahl im November 2012 hierzulande nach Umfragen mehr als 90 Prozent der Stimmen erhalten hätte. Mit Merkels Weigerung, den demokratischen Bewerber um das Präsidentenamt während seiner ersten Kampagne 2008 am Brandenburger Tor sprechen zu lassen, hängt das allenfalls am Rande zusammen, eher schon mit Obamas pathetischem Stil, der Merkels Politikverständnis vollkommen widerspricht.
    Dass der Amerikaner stets als löbliches Gegenmodell zum schnörkellosen Pragmatismus der Kanzlerin dargestellt wurde, ließ deren Zuneigung nicht wachsen. »Das System der USA ist wahrscheinlich geeigneter, überragendePersönlichkeiten hervorkommen zu lassen«, musste sich Merkel von ihrem damaligen Fraktionsgeschäftsführer Norbert Röttgen mit Blick auf Obama vorhalten lassen. »Er hat eine Stimmung erzeugt, die den Glauben an Politik ermöglicht. Das ist viel mehr wert als ein Steuerkonzept oder ein Konzept zur Reform der Krankenversicherung.« Die Erinnerung an solche Sätze hat dreieinhalb Jahre später, als Röttgen mit seiner Begeisterungsfähigkeit im nordrhein-westfälischen Wahlkampf nicht durchdrang, die Entlassungsgelüste der Kanzlerin nicht gedämpft. Allerdings musste sich Merkel durch Obamas Wiederwahl Ende 2012 belehren lassen, dass programmatische Festlegungen und visionäre Begeisterungsfähigkeit nicht zwangsläufig in den politischen Abgrund führen – und auch nicht in die Arztpraxis, wie Helmut Schmidt glaubte.
    Es greift aber zu kurz, die neue Kühle im deutsch-amerikanischen Verhältnis nur mit Unverträglichkeiten der handelnden Personen zu erklären. Zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Krieges ist die alte Bündnisrhetorik an ihr Ende gelangt. Das muss nun ausgerechnet eine Kanzlerin erfahren, die als DDR-Bürgerin viele ihrer Hoffnungen in die westliche Schutzmacht gesetzt hatte. Im Kampf gegen die Erderwärmung ließ Obama beim Kopenhagener Gipfeltreffen vom Dezember 2009 ausgerechnet die Klimakanzlerin kühl abblitzen. In der europäischen Schuldenkrise mäkelte kaum jemand so laut an Merkels Austeritätspolitik herum wie die Amerikaner, die ihre eigenen Wirtschaftsprobleme mit immer neuen Krediten bekämpften.
    Vor allem aber

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