Die Deutsche - Angela Merkel und wir
neun Jahre zuvor noch abgelehnt hatte. Merkel flog zu einem lange vereinbarten Treffen mit Dmitri Medwedew, der vorübergehend für Putin das Amt des Staatspräsidenten einnahm, nach Sotschi. Die Atmosphäre war trotz der sommerlichen Temperaturen in dem Schwarzmeerort außerordentlich kühl. Zwei Tage später traf sich die deutsche Kanzlerin in Tiflis mit dem georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili. Ihm begegnete sie mit erkennbar mehr Sympathie, obwohl er für seine leichtfertige militärische Provokation auch im Inland kritisiert wurde. »Georgien wird, wenn es das will, und das will es ja, Mitglied der Nato sein«, sagte Merkel. Auf dem Nato-Gipfel wenige Monate zuvor in Bukarest hatte das Bündnis unter anderemauf Betreiben Deutschlands die sofortige Aufnahme des Landes in den Membership Action Plan noch abgelehnt, der die Vorstufe zur Mitgliedschaft bedeutet.
Die Kombination der beiden Auftritte löste bei alten westdeutschen Entspannungspolitikern zumindest ein Frösteln aus. Horst Teltschik, langjähriger außenpolitischer Berater Kohls, forderte Merkel in der taz zu mehr Entgegenkommen gegenüber Russland auf. Ähnlich wie Bahr mahnte er eine Antwort auf die Rede an, die Putin auf der Münchener Sicherheitskonferenz gehalten hatte. Das Land brauche für seine Weiterentwicklung »Hilfe und Unterstützung, nicht ständige öffentliche Ermahnungen«.
In Situationen wie diesen wird es politisch relevant, dass das größte Land Westeuropas seit 2005 eine im Ostblock sozialisierte Regierungschefin hat. Schröder und Steinmeier sind mit ihrer Russlandpolitik immer sehr großzügig über die Interessen Ostmitteleuropas hinweggegangen. Die polnischen Einwände gegen das deutsch-russische Pipelineprojekt durch die Ostsee interessierten den SPD-Kanzler wenig, und die orangene Revolution in der Ukraine, von polnischen Politikern 2004 nach Kräften unterstützt, nahm Schröder als potenziellen Störfaktor in den Beziehungen zu Russland wahr – auf »Putinsch«, wie die Berliner Zeitung schrieb. Das Interesse an den kleineren Staaten Ostmitteleuropas war erst recht wenig ausgeprägt.
Das hat sich mit Merkel geändert. Nach dem Scheitern der EU-Verfassung gelang es ihr in zähem Ringen, sogar den damals in Polen regierenden Kaczynski-Brüdern die Zustimmung zum neuen Vertrag von Lissabon abzuringen. Als sich die Slowaken schwertaten, den Hilfen für dasvergleichsweise reiche Griechenland zuzustimmen, zeigte Merkel hinter vorgehaltener Hand Verständnis. Auf internationalen Gipfeltreffen nimmt sie sich die Zeit, auch mit den Regierungschefs der kleinen Länder zumindest ein paar Minuten zu reden. Nicht nur eine gemeinsame Distanz gegenüber der einstigen Besatzungsmacht Russland ist hier das Thema, sondern auch die gemeinsame Verwunderung über manche Zimperlichkeit der Wohlstandseuropäer im Westen.
Indem Merkel mit Schröders Russlandpolitik brach, ist sie auf eine paradoxe Weise den Weg des SPD-Kanzlers zu Ende gegangen. Helmut Kohl hatte nach der Wiedervereinigung alles getan, um die Außenpolitik der alten Bundesrepublik so wenig wie möglich zu verändern. Er blieb dem engen transatlantischen Verhältnis ebenso treu wie der besonderen Beziehung zu Russland, er wollte keine deutschen Soldaten in Militäreinsätze schicken, er betrachtete die europäische Integration als Bestandteil der deutschen Staatsräson. Schröder setzte sich davon ab: Deutlicher als die Kanzler zuvor vertrat er deutsche Interessen, zu Beginn seiner Amtszeit verband er das sogar mit EU-kritischen Tönen. Den Amerikanern widersprach er in einer wichtigen strategischen Frage, dem Irak-Krieg, auf offener Bühne. Angela Merkel, die damals gegen ihn polemisierte, ist ihm nun gefolgt. Ähnlich wie in der Innenpolitik kennt sie in der Außenpolitik keine Freundschaften und keine dauerhaften Festlegungen, sondern nur Interessen, Machtfragen, Allianzen auf Zeit – von ihrem Bekenntnis zu Israel vielleicht abgesehen, aber das gehört in ein anderes Kapitel.
KAPITEL 7:
STAATSRÄSON
In gewisser Hinsicht ist alle Politik in Deutschland seit 1945 auch Geschichtspolitik. Hat sich die Bundeskanzlerin mit einer »Weltwirtschaftskrise« auseinanderzusetzen, dann denkt man hierzulande an den Untergang der Demokratie im Januar 1933. Das harmlose Wort Inflation wird rasch mit der Vorsilbe »Hyper« in Verbindung gebracht, weckt also ebenfalls Erinnerungen an die Weimarer Republik. Und verhandeln die Regierungschefs der Europäischen Union über
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