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Die Deutsche - Angela Merkel und wir

Die Deutsche - Angela Merkel und wir

Titel: Die Deutsche - Angela Merkel und wir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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schon sicher geglaubte Kanzlerschaft allzu sehr im proamerikanischen Sinn zu exponieren. In Washington hätte man die Herausforderin des KriegsgegnersSchröder, die mutmaßlich bald ins Kanzleramt einziehen würde, gern empfangen. Doch jetzt schickte Merkel Wolfgang Schäuble vor, den außenpolitischen Experten und stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion. Bilder von einer Kanzlerkandidatin, die sich in der amerikanischen Hauptstadt als verhinderte Alliierte eines inzwischen gescheiterten Feldzugs feiern ließ, hätten den Wahlsieg nur gefährdet. Zudem hatte die Parteivorsitzende ihre Härte mittlerweile auf anderen Feldern unter Beweis gestellt, mit dem sozialpolitischen Reformprogramm des Leipziger Parteitags vom Dezember 2003 etwa oder mit der zunächst als mutig gefeierten Berufung des Heidelberger Juraprofessors Paul Kirchhof zum steuerpolitischen Experten ihres Schattenkabinetts. Mit dem Irak-Thema drang Schröder gar nicht mehr gegen Merkel durch, obwohl die SPD in ihrem Wahlprogramm formuliert hatte: »Mit einer Kanzlerin Merkel stünden heute deutsche Soldaten in Bagdad.«
    Nur war Merkel 2003 eben nicht Kanzlerin, und zum Zeitpunkt ihrer Washington-Reise bestand auch nicht die Gefahr, dass die CDU bis zum bevorstehenden Kriegsausbruch die Regierungsverantwortung würde übernehmen müssen. Mit ihrer wagemutigen Positionsbestimmung kostete die CDU-Vorsitzende die Freiheiten der Opposition aus. Niemand weiß, wie sie sich als Regierungschefin tatsächlich verhalten hätte. Und es gab durchaus Gründe, sich an manchen Argumenten der deutschen Kriegsgegner zu stoßen. Von einer tiefergehenden Analyse der Verhältnisse im Nahen und Mittleren Osten waren die meisten Debattenbeiträge nicht geprägt. Manchen Diskutantenreichte die Kombination der Begriffe »USA« und »Öl« zur Bewertung des Geschehens völlig aus. Hinzu kamen apokalyptische Szenarien über den Ausbruch eines Dritten Weltkriegs, die zwar deutschen Untergangsfantasien entsprachen, aber die berechtigten Einwände gegen die amerikanische Politik eher diskreditierten.
    Schließlich blieb Schröders brüsker Bruch mit Amerika ein ernstes politisches Problem, bei allen Einwänden gegen den Krieg im Irak. »Deutschland bleibt nicht nur aus Sicherheitsgründen auf das enge Verhältnis zu den USA angewiesen, sondern auch aus innenpolitisch-historischen Gründen seiner ›geliehenen Demokratie‹«, schrieb Joschka Fischer 1995 in seinem Buch Risiko Deutschland, das die Probleme der deutschen Mittellage seit Bismarcks Tagen analysierte. Fischer, der seine Einwände gegen den Irak-Krieg (»I’m not convinced«) dem amerikanischen Verteidigungsminister lieber auf der Münchener Sicherheitskonferenz als in Wahlkampfreden entgegenhielt, formulierte damit so etwas wie die Staatsräson der alten Bundesrepublik. Sie war nicht nur von einer Absage an deutsche Sonderwege und Alleingänge geprägt, sondern auch von tiefem Misstrauen gegenüber dem eigenen Volk, das nach den Erfahrungen zweier Weltkriege lieber nicht mehr im Alleingang entscheiden sollte, wohin es seine Soldaten schickt. In dieser Einschätzung unterschied sich der Grüne Fischer kaum von dem Christdemokraten Helmut Kohl oder dem Sozialdemokraten Helmut Schmidt, für die das allerdings noch hieß: Deutschland solle nach Möglichkeit überhaupt keine Soldaten entsenden. Das war anders, als Gerhard Schröder vor dem Deutschen Bundestag am Tagnach den Anschlägen vom 11. September 2001 den Inhalt seines Telegramms an den amerikanischen Präsidenten referierte: »Ich habe ihm auch die uneingeschränkte – ich betone: die uneingeschränkte – Solidarität Deutschlands zugesichert.«
    Es war ein Moment der Unerschrockenheit, der auch abgebrühten politischen Beobachtern für einen Augenblick den Atem stocken ließ. Darin ähnelte Schröders Solidaritätsbekundung dem Nato-Nachrüstungsbeschluss, den Helmut Schmidt bei den Amerikanern durchsetzte, und eben dem kaum verklausulierten Ja der CDU-Vorsitzenden zum Feldzug im Irak. Merkel kann bemerkenswert furchtlos sein, vor allem, wenn es um die großen Angstthemen der Deutschen wie Krieg oder Atomkraft geht. Man soll ihr Zaudern nicht mit Ängstlichkeit verwechseln. Bisweilen gehört mehr Mut dazu, nicht zu handeln, als kurzfristige Ansprüche zu befriedigen.
    Auf eine ganz andere Art angstfrei schlitterte Merkel acht Jahre später in eine Entscheidung, von der man bis heute nicht weiß, ob sie die Frucht reiflicher Überlegung oder am Ende bloß

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