Die Deutsche - Angela Merkel und wir
wieder in den Schoß der Heiligen Kirche aufnahm, rüffelte sie den Deutschen auf dem Petrusstuhl öffentlich, als sei er ein CDU-Mitglied und unterstehe der Kommandogewalt der Parteivorsitzenden. Schließlich erklärte sie 2008 in ihrer Rede vor dem israelischen Parlament, die Sicherheit des Landes sei Bestandteil der deutschen Staatsräson – und fügte mit Blick auf das iranische Atomprogramm sehr konkret hinzu, das dürften »in der Stunde der Bewährung keine leeren Worte sein«.
Im Fall Oettinger funktionierten Merkels Instinkte. »Hans Filbinger war kein Nationalsozialist. Im Gegenteil: Er war ein Gegner des NS-Regimes«, hatte Oettinger am 11. April 2007, dem Mittwoch nach Ostern gesagt. »Es gibt kein Urteil von Hans Filbinger, durch das ein Mensch sein Leben verloren hätte.« Die Sätze widersprachen der historischen Evidenz. Der spätere Ministerpräsident hatte 1935 Gegner des Hitler-Regimes als »Schädlinge am Volksganzen« beschimpft und die Vollstreckung eines Todesurteils gegen einen jungen Fahnenflüchtling noch kurz vor Kriegsende persönlich überwacht. Schon einen Tag später, am Donnerstag, ließ die Kanzlerin den Ministerpräsidenten wissen, »dass ich mir gewünscht hätte, dass neben derWürdigung der großen Lebensleistung von Ministerpräsident Hans Filbinger auch die kritischen Fragen in Zusammenhang mit der Zeit des Nationalsozialismus zur Sprache gekommen wären«. Sie hätte sich, so erläuterte sie, eine Differenzierung »insbesondere im Blick auf die Gefühle der Opfer und Betroffenen« gewünscht. Damit das alles der Öffentlichkeit nicht verborgen blieb, ließ sie ihren Parteisprecher die Sätze öffentlich bekanntmachen.
Oettinger brauchte ein paar Tage, um die Aussichtslosigkeit seiner Lage zu erkennen. Noch am Samstag glaubte er, mit einem halbgaren Dementi davonzukommen. »Soweit« es Missverständnisse gegeben habe, ließ er wissen, »bedaure« er sie ausdrücklich. Erst am Montag, nach der Sitzung der Parteigremien in Berlin, sprach er Klartext: »Ich distanziere mich davon.« Merkel hatte einen Sieg davongetragen, aber diesmal war der Konfrontationskurs für die mittlerweile fest etablierte CDU-Vorsitzende vergleichsweise risikolos gewesen: Es ging um nachprüfbare Fakten, und nach den Erfahrungen der Hohmann-Affäre konnte niemand im Ernst glauben, dass die CDU den Oettinger-Eklat unter den Tisch kehren könnte. »Angela hat uns gerettet. Aus Fürsorge«, räumte im Rückblick auch Georg Brunnhuber ein, der langjährige Chef der baden-württembergischen CDU-Abgeordneten im Bundestag. Als der Skandal hochkam, hatte er noch gesagt: »Wir stehen zu Oettinger, ohne Wenn und Aber.«
Anders lagen die Dinge, als Merkel zwei Jahre später den Papst kritisierte. Benedikt XVI. war weder ein CDU-Mitglied noch ein deutscher Ministerpräsident. Sein Handeln musste sich die Parteivorsitzende und Bundeskanzlerinnicht zurechnen lassen, anders als das Agieren ihrer Parteikollegen Hohmann oder Oettinger. Merkel konnte den Papst nicht aus Partei oder Fraktion ausschließen lassen, sie konnte nicht einmal beim Bundesverfassungsgericht seine Amtsenthebung beantragen. Sie sprach aber im Duktus einer Vorgesetzten. Für die Zurechtweisung nutzte sie eine Pressekonferenz mit dem kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew. Bei diesen kurzen Pressestatements werden nur wenige Fragen ausgewählter Journalisten zugelassen, bei Bedarf informiert man die betreffenden Medienvertreter im Voraus, nach welchen Themen es sich zu fragen lohnt. »Es geht darum«, sagte sie, »dass vonseiten des Papstes und des Vatikan sehr eindeutig klargestellt wird, dass es hier keine Leugnung geben kann.« Diese Klarstellung sei aus ihrer Sicht »noch nicht ausreichend erfolgt«. Es klang, als redete sie über einen Untergebenen oder über den Regierungschef eines Schurkenstaats.
Aber in welcher Eigenschaft sprach sie den Papst an? Als Oberhaupt der katholischen Kirche? Das wäre schwierig. Zwar sind Staat und Kirche in Deutschland, anders als in Frankreich, auf vielfältige Weise verschlungen. Aber die direkte Einmischung in die jeweils andere Sphäre gilt nicht als opportun. Von offenen Wahlaufrufen haben die deutschen Bischöfe seit Längerem Abstand genommen. Umgekehrt versagen es sich Politiker normalerweise, das Dogma der Jungfrauengeburt anzugreifen oder die kirchliche Sexualmoral zu kommentieren – es sei denn, daraus entsteht ein politisches Problem, wenn etwa ein katholisches Krankenhaus einem
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