Die Deutsche - Angela Merkel und wir
Sparprogramme für die Krisenländer, dann wird die deutsche Regierungschefin mancherorts als Wiedergängerin des Diktators Adolf Hitler karikiert.
Auch im engeren Sinn hat die Geschichtspolitik bislang jeden Bundeskanzler beschäftigt. Schon 1952 schloss Konrad Adenauer mit Israel ein Abkommen über »Wiedergutmachung«. Zur gleichen Zeit stellte er allerdings mit einer ganzen Reihe von Gesetzen teils erheblich belastete NS-Täter von Strafverfolgung frei, beendete die Entnazifizierung und rehabilitierte entlassene Beamte. Der pflegliche Umgang mit der großen Schar sogenannter Mitläufer vergrößerte die gesellschaftliche Akzeptanz derjungen westdeutschen Demokratie, erscheint aus heutiger Sicht aber problematisch. Auch klingt im Begriff »Wiedergutmachung« die Vorstellung an, man könne diese historische Schuld durch finanzielle Entschädigung aus der Welt schaffen. Und das Ansinnen, ausgerechnet dem Staat Israel die Aufgabe zuzumuten, Deutschland zu rehabilitieren, kommt uns heute befremdlich vor.
In Deutschland selbst begriffen sich die Menschen zunächst vor allem als Opfer der Geschichte. In den Familien wurde über Flucht und Vertreibung gesprochen, über Gefallene und Ausgebombte, über die Entbehrungen der Nachkriegszeit, nicht aber über Kriegsverbrechen oder den Holocaust. Eine breitere Öffentlichkeit begann sich erst seit den Auschwitzprozessen der Sechzigerjahre mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Ins Zentrum des deutschen Geschichtsbewusstseins rückte der Mord an den europäischen Juden mit der 1979 im deutschen Fernsehen ausgestrahlten Serie »Holocaust«. Das historische Interesse, das zu jener Zeit in Westwie Ostdeutschland neu erwachte und umstrittene Wiederaufbaupläne vom Frankfurter Römerberg bis zur Dresdener Semperoper beflügelte, verleitete anders als zunächst befürchtet nicht zu einer Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen. Es führte ganz im Gegenteil zu einer intensiveren Beschäftigung auch mit den Schattenseiten der eigenen Geschichte.
Unter den Bundeskanzlern hatte Willy Brandt mit seinem Kniefall vor dem Denkmal für die Opfer des Warschauer Ghetto-Aufstands geschichtspolitische Maßstäbe gesetzt. Mit dem Amtsantritt Helmut Kohls 1982 verbandsich die Befürchtung eines Rollback. Gegen massive Widerstände inszenierte er mit dem amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan am 5. Mai 1985 eine Versöhnungsfeier auf dem Soldatenfriedhof von Bitburg, auf dem auch Angehörige der Waffen-SS bestattet waren. Mit großem Misstrauen verfolgte die interessierte Öffentlichkeit sein Projekt eines Deutschen Historischen Museums in Berlin. 1986 verglich er die PR-Künste des sowjetischen Staats- und Parteichefs Michail Gorbatschow, von dessen ernstem Veränderungswillen er sich erst später überzeugen sollte, mit den Fähigkeiten des nationalsozialistischen Propagandaministers Josef Goebbels. Als ästhetisch und geschichtspolitisch verfehlt wurde seine einsame Entscheidung kritisiert, in der Berliner Neuen Wache eine vergrößerte Kopie von Käthe Kollwitz’ »Mutter mit totem Sohn« aufzustellen, weil sie die Erinnerung an die »Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft« mit christlicher Symbolik verband.
Den Kontrapunkt zu Kohls Besuch in Bitburg bildete die Rede, in der Bundespräsident Richard von Weizsäcker drei Tage später das Kriegsende am 8. Mai 1945 als »Tag der Befreiung« würdigte. Angela Merkel führte damals am Zentralinstitut für Physikalische Chemie in Berlin-Adlershof lange Gesprächen über die »großartige Rede« und über die historische Schuld der Deutschen, wie ihr Zimmergenosse Schindhelm berichtet. Mit den geschichtspolitischen Debatten der alten Bundesrepublik war Merkel also früh vertraut.
Nach der Wiedervereinigung und dem Beschluss zum Regierungsumzug nach Berlin sorgten sich manche Westdeutschen,das Land könne hinter den erreichten Stand kritischer Geschichtsbetrachtung zurückfallen und sich einer unreflektierten nationalen Euphorie hingeben. Pogromartige Ausschreitungen gegen Asylunterkünfte in Lichtenhagen und Hoyerswerda schienen die Befürchtungen ebenso zu bestätigen wie Brandanschläge auf die Wohnhäuser türkischstämmiger Einwanderer in Mölln und Solingen. Unbedarfte Äußerungen einzelner Politiker taten ein Übriges. So beklagte der sächsische Justizminister Steffen Heitmann, von Kanzler Kohl 1993 immerhin für das Amt des Bundespräsidenten nominiert, der Umgang mit der Nazi-Vergangenheit sei
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