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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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Wiener Kongresses vertrug die kleindeutsche Lösung nicht.
    Während das Kaiserreich eine rasante Entwicklung hinter sich hatte und der führenden ökonomischen Macht des Westens, Großbritannien, ins Gehege kam, war der zweite mitteleuropäische, deutsch begründete Staat, die Donaumonarchie, in größten Schwierigkeiten, was die Anpassungsnotwendigkeit an die Moderne betraf.
    Während das Kaiserreich sich im Stil der Zeit und der zu erwartenden Zukunft mühelos als Nationalstaat präsentieren konnte, erschien die Donaumonarchie immer öfter als ein Relikt vergangener Jahrhunderte und überholter Staatsformen. Wie immer in solchen Fällen wirkten zahllose Kräfte an der Beschleunigung des Zerfallsprozesses. Und so wurden große und kleine und auch winzige Affären oder auch nur Vorkommnisse zum Anlass der Katastrophe.
    In einer Sonderausgabe des Reichsanzeigers wurde am 6. August 1914 folgender Aufruf des Kaisers veröffentlicht.
    »An das deutsche Volk!
    Seit der Reichsgründung ist es durch 43 Jahre Mein und Meiner Vorfahren heißes Bemühen gewesen, der Welt den Frieden zu erhalten und in Frieden unsere kraftvolle Entwicklung zu fördern. Aber die Gegner neiden uns den Erfolg unserer Arbeit. Eine offenkundige und heimliche Feindschaft von Ost und West und jenseits der See haben wir zu ertragen im Bewusstsein unserer Verantwortung und Kraft. Nun aber will man uns demütigen. Man verlangt, dass wir mit verschränkten Armen zusehen, wie unsere Feinde sich zu tückischem Überfall rüsten. Man will nicht dulden, dass wir in entschlossener Treue zu unserem Bundesgenossen stehen, der um sein Ansehen als Großmacht kämpft und mit dessen Erniederung auch unsere Macht und Ehre verloren ist. So muss denn das Schwert entscheiden. Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Darum auf zu den Waffen! Jedes Schwanken, jedes Zögern wäre Verrat am Vaterlande. Um Sein oder Nichtsein unseres Reiches handelt es sich, das unsere Väter sich neu gründeten. Um Sein oder Nichtsein deutscher Macht und deutschen Wesens. Wir werden uns wehren bis zum letzten Hauch von Mann und Roß, und wir werden diesen Kampf bestehen, auch gegen eine Welt von Feinden. Noch nie ward Deutschland überwunden, wenn es einig war. Vorwärts mit Gott, der mit uns sein wird, wie er mit den Vätern war.«
    Über die Stimmung Unter den Linden nach der Mobilmachung berichtet die Frankfurter Zeitung: »Unter den Linden und vor dem königlichen Schloss«, heißt es darin, »sammelten sich bald nach der Bekanntgabe der Mobilmachung viele Hunderttausende von Menschen. Jeder Wagenverkehr hörte auf. Der Lustgarten und der freie Platz vor dem Schloss waren dicht angefüllt von den Menschenmassen, die patriotische Lieder sangen und wie auf Kommando gleichmäßig immer wieder den Ruf erneuerten: Wir wollen den Kaiser sehen! Gegen halb sieben Uhr erschien der Kaiser am mittleren Fenster der ersten Etage von einem unbeschreiblich starken Jubel und Hurrarufen begrüßt. Patriotische Lieder wurden angestimmt. Nach einiger Zeit trat in der Menge Ruhe ein. Die Kaiserin trat an die Seite des Kaisers, der den Massen zuwinkte, dass er sprechen wolle. Unter tiefstem Schweigen sprach der Kaiser dann ungefähr mit weithin vernehmbarer, langsam stärker werdender Stimme: Wenn es zum Kriege kommen soll, hört jede Partei auf, wir sind nur noch deutsche Brüder. In Friedenszeiten hat mich zwar die eine oder andere Partei angegriffen, das verzeihe ich ihr aber jetzt von ganzem Herzen. Wenn uns unsere Nachbarn den Frieden nicht gönnen, dann hoffen und wünschen wir, dass unser gutes deutsches Schwert siegreich aus dem Kampf hervorgehen wird.
    An diese Worte des Kaisers schloss sich ein Jubel, wie er wohl noch niemals in Berlin erklungen ist. Die Menge stimmte begeistert erneut patriotische Lieder an.«
    Unterdessen marschierte, gemäß dem Schlieffenplan, das deutsche Heer im neutralen Belgien ein. Der Plan sah vor, die befestigten Verteidigungslinien Frankreichs zu umgehen.
    Das Heer bombardiert die Stadt Löwen, niederländisch: Leuven, die Bibliothek, ein Hort des abendländischen kulturellen Gedächtnisses, wird getroffen, Inkunabeln und wertvolle Bücher fallen den Flammen zum Opfer. Der Gegner nutzt den Zwischenfall propagandistisch. Darauf geben 93 prominente Unterzeichner eine Antwort, unter dem Titel Aufruf an die Kulturwelt. Darin heißt es unter anderem: »Es ist nicht wahr, dass unsere Kriegsführung die Gesetze des Völkerrechts missachtet. Sie kennt keine zuchtlose

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