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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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sind. In der Tat hatte der Komponist sich im patriotischen Überschwang des frühen 19. Jahrhunderts die Freiheit erlaubt, in seinem erfolgreichsten Werk dieser Gattung eine kleine, aber entscheidende Änderung vorzunehmen. Im berühmten Eichendorff-Gedicht Der Jäger Abschied heißt es konsequent in allen Strophen: »Lebe wohl, du schöner Wald!« Zum Schluss seiner Hymne macht Mendelssohn daraus: »Lebe wohl, du deutscher Wald!« Erst in unseren Tagen will es dem Männerchor langsam gelingen, sich an dieser Stelle nicht trotzig zu versteifen, so wie sich das Ohr nur schwer daran gewöhnt, nicht zu erröten.
    Politisch hat der Männerchor heute ausgesungen. Die deutsche Wiedervereinigung fand ganz ohne ihn statt. Und jene Verschmelzungsschauer, wie sie einst den Massenrücken am Fuß der Wartburg oder in Straßburg hinunterliefen, kommen einzig noch im Fußballstadion auf, wenn Zigtausend raue Männerkehlen denselben Schlachtgesang anstimmen.
    Vielleicht erinnern sich die Grünen eines Tages des neudeutschen Eisler/ Becher-Volkslieds Als das Kraftwerk wurde Volkes Eigen und lassen es bei ihren Parteitagen anstimmen. Aber natürlich wäre dies kein Männergesang, sondern ein strikt quotierter.
    Mehr als eine Besonderheit wird der Männerchor in Zeiten, in denen der gemischte Chor die Regel ist, ohnehin nicht sein können. Dennoch sind die viertausend Männergesangvereine, die es in Deutschland immer noch gibt, mehr als ein angestaubtes Ärgernis, das vom Gender Mainstreaming erfasst und fortgespült werden sollte. Wo sonst - außer im Fußballstadion - dürfen gestandene Kerle noch so sentimental sein, ohne sich als Jammerlappen zu fühlen? Jede, die einmal erlebt hat, wie weich selbst die verstocktesten Opernchorherren werden, wenn sie den Jägerchor aus dem Freischütz oder die Gralsritterchöre aus Parsifal singen dürfen, begreift, welch einzigartige Gemütsmöglichkeit hier berührt wird.
    Durch alle politischen Verwerfungen hindurch und trotz aller kämpferischen Aufladung, die das Männergesangwesen begleitet hat, entspringen seine Lieder letztlich demselben idealistisch-romantischen Bedürfnisquell, dem das gesamte deutsche Volkslied entsprungen ist. Lassen wir dem Mann also seinen Gesang, dessen reinster Text lauten müsste:
     
    Mädchen Liebe Herz
    Schön treu gut
    Leben Glück Schmerz
    Allein still süß
    Himmel Augen Gott
    Sanft hold rein
    Küssen weinen verlassen
    Vergessen gedenken -
    kehr heim.
     
    >Abendstille, E(rnst) und U(nterhalting), Feierabend, Fussball, Grundgesetz, Heimat, Musik, Reinheitsgebot, Sehnsucht, Vater Rhein, Vereinsmeier, Waldeinsamkeit

Mittelgebirge
     
    »Wie wenig beglückend der Standpunkt auf großen, außerordentlichen Höhen ist, habe ich recht innig auf dem Brocken empfunden. Lächeln Sie nicht, mein Freund, es waltet ein gleiches Gesetz über die moralische wie über die physische Welt. Die Temperatur auf der Höhe des Thrones ist so rau, so empfindlich und der Natur des Menschen so wenig angemessen, wie der Gipfel des Blocksbergs, und die Aussicht von dem einen so wenig beglückend wie von dem andern, weil der Standpunkt auf beidem zu hoch, und das Schöne und Reizende um beides zu tief liegt. Mit weit mehr Vergnügen gedenke ich dagegen der Aussicht auf der mittleren und mäßigen Höhe des Regensteins, wo kein trüber Schleier die Landschaft verdeckte, und der schöne Teppich im ganzen, wie das unendlich Mannigfaltige desselben im einzelnen klar vor meinen Augen lag.«
    Das schreibt Heinrich von Kleist in einem frühen Aufsatz - vermutlich 1798 -, der seinem Freund Rühle von Lilienstern gewidmet ist. Es stellt fest, dass sie als Jünglinge noch auf »regellosen Bahnen« umherwandeln, es aber darum gehe, im Leben die »beglückende Mittelstraße« zu finden.
    Damit eine Frivolität als solche erkennbar wird, bedarf es eines entsprechenden Kontextes, vor allem aber der Fähigkeit des Beobachters, die Hürden dieses Kontextes zu nehmen. Das gilt nicht nur für den Dichter Kleist. Es gilt auch für den Fall des von der Zigarettenmarke Camel aufs T-Shirt gebrachten Spruchs: »Mittelgebirge sind auch okay.«
    »Mittelgebirge« ist eines der Wörter, die die deutsche Sprache der Weltkultur beigefügt hat. Selbst die Angelsachsen waren ob der Namensgebung des geographischen Mittelmaßes offenbar sprachlos genug, um uns das letzte Wort in der ihnen nicht ganz geheuren Sache zu überlassen.
    Zumal es gar keinen dringend notwendigen Begriff verkörpert, jedenfalls nicht

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