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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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tun mit all den deutschen Orchestern, Konzertsälen und Opernhäusern? Diejenigen, die zerstört waren, in Trümmern liegen lassen - und den Rest verbieten, schließen, niederreißen? Oder in Tanzkapellen und Tanzlokale umwandeln? Verbot aller »ernsten« deutschen Musik im eigenen Land?
    Am 29. Mai 1945 hatte Thomas Mann, mittlerweile amerikanischer Staatsbürger, in Washington einen Vortrag gehalten, in dem er zu erklären versuchte, wie es zu der Katastrophe hatte kommen können, die Deutschland und die Deutschen in den vergangenen zwölf Jahren angerichtet hatten. Schon bald in seiner Rede brachte der Schriftsteller, der zu diesem Zeitpunkt an seinem Doktor Faustus. Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde schrieb, den Teufel ins Spiel, die »geheime Verbindung des deutschen Gemütes mit dem Dämonischen«. Das Dämonische aber war für Thomas Mann nichts anderes als die Musik: »Sie ist christliche Kunst mit negativem Vorzeichen. Sie ist berechnetste Ordnung und chaosträchtige Wider-Vernunft zugleich, an beschwörenden, inkantativen Gesten reich, Zahlenzauber, die der Wirklichkeit fernste und zugleich die passionierteste der Künste, abstrakt und mystisch. Soll Faust der Repräsentant der deutschen Seele sein, so müsste er musikalisch sein; denn abstrakt und mystisch, das heißt musikalisch, ist das Verhältnis des Deutschen zur Welt.«
    Abstrakt, mystisch, dämonisch, musikalisch. Wie soll mit solch gefährdeten und gefährlichen Schwärmern ein ziviler, »vernünftiger« Staat zu machen sein? Mann zitiert Honore de Balzac, der den Deutschen bereits 1839 bescheinigt hatte, dass sie zwar eine natürliche Begabung für sämtliche musikalischen Instrumente besäßen, aber keine Ahnung hätten, wie die »großen Instrumente der Freiheit« zu spielen seien. Spöttischer sagte es Kurt Tucholsky: »Wegen ungünstiger Witterung fand die deutsche Revolution in der Musik statt.«
    Der musikgläubige Thomas, dem es trotz allem, was geschehen war, noch immer schwerfiel, seinen Glauben in die Grenzen der bloßen Vernunft zu weisen, empfand das Dilemma in aller Schmerzlichkeit: »Sie [die Deutschen] haben dem Abendland - ich will nicht sagen: seine schönste, gesellig verbindendste, aber seine tiefste, bedeutendste Musik gegeben, und es hat ihnen Dank und Ruhm dafür nicht vorenthalten. Zugleich hat es gespürt und spürt es heute stärker als je, dass solche Musikalität der Seele sich in anderer Sphäre teuer bezahlt - in der politischen, der Sphäre des menschlichen Zusammenlebens.«
    Die Rede, die Thomas Mann im Mai 1945 in der Library of Congress hielt, war ein in Moll getauchtes Echo auf das, was er dreißig Jahre zuvor, während des Ersten Weltkriegs, in seinen Betrachtungen eines Unpolitischen geschrieben hatte. Auch dort ging es ihm um die Unverträglichkeit von Zivilisation und Kultur, von Demokratie und Musik. Sein leidenschaftliches Ziel damals: Kultur und Musik gegen Zivilisation und Demokratie zu verteidigen. Er pries die Musik als »das reinste Paradigma, den heiligen Grundtypus aller Kunst« und wetterte gegen die (demokratische) Politik »als Verdrängerin der Musik, welche bis dahin den höchsten Rang im gesellschaftlich-künstlerischen Interesse der Nation« eingenommen habe. Er sprach vom »Finis musicae«, der drohenden Gefahr, dass die Musik »vor der Zivilisation, der Demokratie, wie Nebel vor der Sonne vergehen könnte«, und wünschte sich mit Richard Wagner, es möge umgekehrt sein.
    Jener war es auch, der den jungen Mann überhaupt erst zum Patrioten hatte werden lassen. Als 20-Jähriger erlebte er ein Wagner-Konzert in Rom. »Nervöse Tränen« seien ihm in die Augen geschossen, als »zum zweiten Male das Nothung-Motiv heraufkam«, und die Italiener um ihn herum zu zischen und pfeifen begonnen hätten. Da habe er gespürt, wo »die Heimat seiner Seele« sei.
    »Kann man Musiker sein, ohne deutsch zu sein?« Die Frage war für Thomas Mann eine rhetorische. Ebenso gut hätte er fragen können: »Kann man deutsch sein, ohne Musiker zu sein?« In seinen »unpolitischen« Zeiten war er jedenfalls eifrig bemüht zu versichern, dass er »zwar Literat, aber mehr noch Musiker« sei. Die Rolle des einst so verhassten »Zivilisationsliteraten« selbst zu übernehmen, der die Kunst nicht länger gegen die Humanität ausspielen, sondern dieser dienen lassen will - dazu konnte sich der Schriftsteller erst im Zeichen des totalen politischen Unheils durchringen.
    Die

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