Die deutsche Seele
geographisch. Die Unterscheidung zwischen Berg und Hügel sollte eigentlich genügen. Die Frage ist, warum man das Bedürfnis hatte, von einem »Mittelgebirge« zu sprechen. Und wieso wurde ein so offensichtlich überflüssiger Begriff allgemein angenommen? Obgleich vom sprachlichen Ausdruck her ans Gebirge angelehnt, ist es schon mit wenigen Worten deutlich davon abgrenzbar. Das Mittelgebirge ist nicht majestätisch wie der Berg, es ist nicht überwältigend für das Auge, noch lässt sich dort eine spektakuläre Besteigung in Angriff nehmen. Das Mittelgebirge ist vielmehr der Raum der Wanderung.
Im Unterschied zum zerklüfteten Gebirge erscheint das Mittelgebirge als sanfter Übergang von Wald zu Wiese und von Wiese zu Wald. Was aber unterscheidet das Mittelgebirge von der Hügellandschaft? Wieso heißt es »deutsches Mittelgebirge« und nicht »deutsche Hügellandschaft«?
Alle Gebirge in Deutschland, mit Ausnahme der Alpen und Voralpen, sind Mittelgebirge. Den Norden von Mitteleuropas Montanzone nimmt die bis zu 1602 Meter hohe Mittelgebirgsschwelle ein. Sie beginnt mit den belgisch-französischen Ardennen, geht quer durch Deutschland und Tschechien bis zu den Karpaten in der Slowakei. Südlich der Schwelle schließen sich beidseitig des Oberrheingrabens bis zu 1493 Meter hohe Schichtstufenländer an. Die deutschen Mittelgebirge gehören zu den ältesten Gebirgen Europas. Vor 225 Millionen Jahren, in der Zeit der Trias, befand sich Mitteleuropa zeitweise über und zeitweise unterhalb des Meeresspiegels. Zumeist wechseln sich als Sedimentschichten Buntsandstein und Muschelkalk ab. Es folgten in der Jurazeit Kalkablagerungen und in der Kreidezeit Kreide.
Durch die natürliche Abtragung, durch die Alpengebirgsbildung kam es zu Bruchschollen. Diese waren Anhebungen und Absenkungen unterworfen, die zu verschiedenen Formen geführt haben. So weit das gute alte Lexikon.
Nimmt man sich die Liste der deutschen Mittelgebirge vor, hat man unwillkürlich den Eindruck, eine Kleinstaaterei der Natur vor Augen zu haben. Alles hat hier seinen Namen, seinen Rang. Jeder Wanderpfad überschreitet Grenzen. Man kommt der Markierung folgend von A nach B und man kommt auch vom Hundertsten ins Tausendste und geht doch nicht verloren. Alles Einzutragende ist eingetragen. Die Natur vor dem Hotel ist besenrein. Das Mittelgebirge ist wie die gute Stube der Natur. Unterhalb des Mittelgebirges sind, wie es heißt, die Grundbücher gelagert. Es stimmt. Die Ortschaften ruhen auf den Dokumentenschichten, auf den Tintensedimenten.
Es sind Schmuckstücke. Wie aus der Hutschachtel, hätte man früher gesagt, hier kann man es immer noch.
Man steht auf, um ins Haus zu kommen, und bückt sich, um es wieder zu verlassen. Man ist im Siebengebirge, im Siebenhaargebirge, im Taunus, oder mitten in einem deutschen Kinofilm und auf der Flucht und schließlich doch nur auf dem Schinderhannes-Radweg, von Emmelshausen nach Simmen, benannt nach dem legendären Räuber.
Wer eilt nicht gern zu Fuß davon, um statt im Büro anzukommen, in einem Wirtshaus an der Lahn einzukehren? Wer schwingt sich nicht aufs Fahrrad, um es in Heidelberg über den Philosophenweg zu schieben, statt dem »call for papers« für die anstehende Konferenz Folge zu leisten?
Wer durch den Schwarzwald läuft, durch Eifel und Odenwald, Kaiserstuhl und Siebengebirge, wer den Katzenbuckel gesehen hat, den Totenkopf und den Feldberg, weiß es: Deutschland ist schöner als »Schöner Wohnen«! Das Mittelgebirge ist ein Landstrich, dem man wie kaum einem anderen die Menschenhand ansieht. Es ist Kulturlandschaft pur, parkartig. Komplett erschlossen und bestens vermarktet. Es ist Urlaubsdeutschland. Hier wäre man sogar als Einheimischer gern Tourist. Und man ist es auch, als Ausflügler, bei Segelflug und Vogelperspektive. Ist sie nicht schön, die Rhön?
Und dann noch Freiburg: Wo gäbe es sonst noch einen Hausberg zu bestaunen, der noch dazu »Schauinsland« heißt? Früher aber »Erzkasten« genannt wurde, wegen der Erzvorkommen und des Bergbaus? Und dessen Bergwerk weiterbesteht, als Museumsbergwerk?
Geben wir es zu: Manchmal möchte man Amerikaner sein, um das alles unvoreingenommen würdigen zu können.
>Bergfilm, Heimat, Jugendherberge, Waldeinsamkeit, Wanderlust
»Kann man Musiker sein, ohne deutsch zu sein?«
Hätten die Amerikaner Thomas Mann nach dem Zweiten Weltkrieg zu ihrem Sonderberater in Sachen Reeducation gemacht, er hätte schlaflose Nächte verbracht. Was
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