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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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auch außermusikalische - Ideen zugrunde liegen. Dennoch entsprechen sie nicht dem, was spätere Musiktheoretiker als »Programmmusik« bezeichneten. Nichts hätte Beethoven ferner gelegen, als seinen Zuhörern eine Art Reiseführer an die Hand zu geben, wie es etwa im frühen 20. Jahrhundert Richard Strauss tat, indem er die einzelnen Abschnitte seiner Alpensinfonie mit konkreten Überschriften wie »Wanderung neben dem Bache« oder »Am Wasserfall« versah.
    Beethoven war »absoluter« Musiker. Zugleich war er der erste intellektuelle Komponist. Nicht nur, weil er - abermals anders als Haydn und Mozart - ein eifriger Leser der Schriften von Schiller, Kant und Herder war. Auch seine eigenen Werke verstand er als Beiträge zum politischen, philosophischen und weltanschaulichen Diskurs der Zeit. Wie man mit »reinen« Tönen dennoch eine »Botschaft« übermitteln kann - und wie heikel es wird, wenn die Exegeten darangehen, diese »Botschaft« zu entschlüsseln -, lässt sich am besten an Beethovens Dritter Sinfonie, seiner Eroica, zeigen.
    Mit der Arbeit an dem revolutionären Werk begann er im Jahre 1801. Zur selben Zeit wurden seine Geschöpfe des Prometheus mit großem Erfolg in Wien uraufgeführt. Dennoch war der Komponist unzufrieden. Zu steif, zu konventionell erschien ihm das Korsett einer Ballettmusik. Es musste gelingen, die Geschichte des Titanen, der sich gegen die Götter auflehnt und die Menschen aus ihrer schicksalhaften Umnachtung befreien will, indem er für sie das Feuer stiehlt, zu erzählen, ohne dass irgendwelche Tänzer dazu hüpften. Also übernahm Beethoven thematisches Material aus dem Prometheus in seine Dritte Sinfonie, in der er es kompositorisch weit freier und konsequenter verarbeiten konnte.
    Eine zweite Lichtgestalt stand Beethoven vor Augen. Über der Partitur, die der glühende Verehrer der Französischen Revolution 1804 vollendet hatte, stand: »Symphonie grande, intitolata Bonaparte« - »Große Sinfonie, Bonaparte gewidmet«. Nachdem sich sein Idol im Dezember desselben Jahres zum Kaiser gekrönt hatte, soll Beethoven das Titelblatt allerdings voll Zorn herausgerissen haben mit der Bemerkung: »Ist der auch nichts anders wie ein gewöhnlicher Mensch! Nun wird er auch alle Menschenrechte mit Füßen treten, nur seinem Ehrgeize fröhnen.« Als das Werk im April 1805 uraufgeführt wurde, trug es den Titel: »Sinfonia eroica, composita per festiggiare il sowenire di un grand’uomo« - »Heldensinfonie, komponiert, um das Andenken an einen großen Mann zu feiern«.
    Welcher »große Mann« mit der Eroica geehrt werden sollte, blieb fortan dem Ermessen der jeweiligen Zeitgenossen anheimgestellt. Im November 1847 erklang sie bei der Totenfeier für Felix Mendelssohn Bartholdy im Leipziger Gewandhaus. 1892 dirigierte sie Hans von Bülow in Berlin und erklärte: »Wir Musikanten mit Herz und Hirn, mit Hand und Mund, wir weihen und widmen heute die heroische Sinfonie […] dem Bruder Beethovens, dem Beethoven der deutschen Politik, dem Fürsten Bismarck!« Und Elly Ney, die berühmte Pianistin und Beethoven-Interpretin (und Hitler-Anhängerin), erzählte im Zweiten Weltkrieg von der Zuschrift eines Sturzkampffliegers: »Nach einem Stuka-Angriff hörte ich abends im Rundfunk zufällig die Eroica. Da spürte ich ganz deutlich, dass diese Musik Bestätigung unseres Kampfes ist, eine Heiligung unseres Tuns.«
    Einem musikalischen Werk zum Vorwurf zu machen, dass spätere Adepten es für ihre jeweiligen politischen Zwecke vereinnahmen, ist läppisch. Und dennoch leistete Beethoven dieser Vereinnahmung selbst Vorschub. Seine Helden-Widmung, die zu allen möglichen Projektionen einlud, spielte dabei noch die geringste Rolle. Weit entscheidender war, dass er mit seiner Eroica eine Tonsprache geschaffen hat, die danach schreit, verstanden zu werden. Hört ihr denn nicht, was ich euch zu sagen habe! Mit diesem Gestus zieht sie das Publikum in ihren Bann. Sobald das Publikum jedoch mitzuteilen versucht, was es verstanden hat, versagen ihm die Worte - oder es sucht Zuflucht bei fragwürdigen Auslegungen. In diesem Sinne ist die Musik Beethovens in der Tat dämonisch: ein tönender Geist, der niemals zu fassen ist, obwohl er mit aller Macht dazu auffordert.
    »Glühende Strahlen schießen durch dieses Reiches tiefe Nacht, und wir werden Riesenschatten gewahr, die auf- und abwogen, enger und enger uns einschließen und alles in uns vernichten, nur nicht den Schmerz der unendlichen Sehnsucht.« So

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