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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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an. »Die Musik ist ein Weib.« In dieser verblüffenden Feststellung gipfelte der erste Teil von Oper und Drama. Beethoven - und die romantischen Musikschriftsteller - hätten die Musik in eine historisch zwar notwendige, aber nichtsdestotrotz fatale Sackgasse hineingelockt. »Absolute Musik«, die versuchte, konkrete Inhalte ganz aus sich heraus auszudrücken, eine autonome Sprache zu werden, müsse an sich selbst irrewerden.
    Es entbehrt nicht einer unfreiwilligen Komik: Ausgerechnet Wagner, der die Opernbühne als Erster mit außer sich geratenden Hysterikerinnen (und Hysterikern …) bevölkerte, warf Beethoven vor, die Musik zu einer hysterischfrigiden Emanze gemacht zu haben - die sich nach nichts mehr sehne als nach der »Erlösung« durch das Wort. Bereits in seiner Analyse der Neunten Sinfonie hatte Wagner behauptet, Beethoven habe seinen Irrtum selbst erkannt und deshalb im letzten Satz Zuflucht bei Schillers Ode An die Freude gesucht. Die Erlösung sei jedoch daran gescheitert, dass die Melodie, anstatt mit dem Text eins zu werden, diesen »patriarchalisch« dominiere, womit sie sich abermals eine Rolle anmaße, die ihr nicht zukomme. Um wahrhaft erlöst zu werden, müsse Musik einsehen, dass ihre Macht sich auf »empfangende Hingabe« beschränke, darauf, »unendliche Melodie« zu sein, die aus einem idealerweise unsichtbaren Orchestergraben heraufdringt und dem Drama, das sich oben im Rampenlicht entfaltet, zu höchster Potenz verhilft.
    Die Selbstdemütigung, die Wagner sich als Musiker mit dieser Theorie zufügte, verkraftete er nur, indem er sich gleichzeitig zum Urheber der »zeugenden« Kraft im Musikdrama machte: zum eigenen Librettisten. So wie im Ring des Nibelungen Göttervater Wotan darüber wacht, dass seine in wehrlosen Tiefschlaf verbannte Lieblingstochter Brünnhilde nicht von jedem dahergelaufenen Strolch bestiegen wird, wachte der Tondichter Wagner darüber, dass seine Musik sich nur an Texte verausgabte, die das Selbstopfer wert waren. Und so wie Siegfried, der Held, dem es schließlich gelingt, Brünnhilde zu entjungfern, ebenfalls ein Nachkomme Wotans ist, durfte sich auch Wagners Musik keinem Drama an die Brust werfen, das nicht von ihm stammte. Das Gesamtkunstwerk hört auf, Befreiungsutopie zu sein: Es wird zur inzestuösen Allmachtsphantasie eines Künstlergottes, der sämtliche Schöpfungsfäden selbst in der Hand behalten will.
    Wagner hätte diesen Vorwurf weit von sich gewiesen: Nach eigener Auffassung war er schließlich derjenige, dem es gelungen war, zwischen Text und Musik eine innige, quasi organische Beziehung herzustellen, während die Opernkomponisten vor ihm bloß willkürliche Zwangsehen gestiftet hätten. Anders als die älteren Textbücher sollten seine Dramen den Keim zur Musik bereits in sich tragen, von sich aus zur Musik hindrängen. So begründete der Dichter Wagner seine Neigung zu Stabreimen á la »Winterstürme wichen dem Wonnemond« denn auch damit, dass diese unmittelbar nach musikalischem Ausdruck verlangten. Das Wort erlöst die Musik - die Musik erlöst das Wort. Am Ende seines Schaffens, im Bühnenweihfestspiel Parsifal, ließ er diese Metaphysik in der gesungenen Wunderformel kulminieren: »Erlösung dem Erlöser!«
    Für Wagner war die bisherige Oper jedoch nicht allein daran gescheitert, dass sie die Entfremdung zwischen Drama und Musik nicht aufzuheben vermochte; dass sie mit ihrem konventionellen Gerüst aus Rezitativen, Arien, Duetten, Ensemblestücken und Chören eine wahrhafte Durchdringung der beiden Sphären nicht zuließ; dass sie ihre Themen nicht aus der Tiefe der jeweiligen Volksmythologie schöpfte, sondern sich auf der internationalen Stoffbörse nach Belieben bediente. Zum immer brennenderen Problem wurde für Wagner die Suche nach einem Ort, an dem das »Kunstwerk der Zukunft« seinen Erlösungszauber in aller Heiligkeit entfalten konnte. Die »Zudringlichkeiten eines deutschen Hoftheaters«, das »Repertoiretheater mit seinen Abonnenten und Rezensenten« verursachten ihm einen wachsenden Ekel. Schon in Oper und Drama hatte er Carl Maria von Weber - der mit seinem Freischütz den prinzipiell richtigen Versuch unternommen habe, eine deutsche Volksoper zu schaffen - vorgeworfen, die »süß verschämte« Blume des Volkslieds ihrer »göttlich zeugenden Wildnis« entrissen, sie »oben im Prunkgemache« in eine »kostbare Vase« gesetzt und so der »riechenden Nase jedes gaunerischen Wollüstlings« dargeboten zu haben. Dasselbe

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