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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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hysterisch auf Reinheit zu pochen. Nicht mehr bringt die gegenteilige Hysterie, dass es rein »Deutsches« eigentlich gar nicht gäbe. Es hilft nur, sich die Wurzeln der deutschen Reinheitssehnsucht klarzumachen - und darüber zu wachen, dass aus diesen keine Menschheitsmonster erwachsen.
    Am besten geht dies bei einem kühlen Bier, gebraut nach deutschem Reinheitsgebot - dem vernünftigsten Reinheitsgebot, das hierzulande jemals erlassen worden ist. Keine esoterischen Verstiegenheiten waren es, die Herzog Wilhelm IV. und seinen Bruder Ludwig X. dazu brachten, am 23. April 1516 in Ingolstadt per Gesetz zu verkünden, dass »zu keinem Bier mehr Stücke als allein Gersten, Hopfen und Wasser verwendet und gebraucht werden sollen«. Die beiden bayerischen Regenten hatten schlicht erkannt, dass es angesichts der unmäßigen Biermengen, die der Deutsche konsumiert, der allgemeinen Gesundheit nicht zuträglich ist, wenn »Bierverhunzer« von Erbsen bis Ochsengalle alles ins Bier panschen, was gärungswillig ist. Das Reinheitsgebot hat geschafft, woran alle anderen deutschen Reinheitsbestrebungen bislang gescheitert sind: Es ist nicht fundamentalistisch. Bei obergärigen Bieren wie Alt, Kölsch oder Weißbier lässt es Weizenmalz als Braustoff zu.
    Und wir sind nicht die Einzigen, die sich dieses Reinheitsgebots zu erfreuen wissen: Deutsches Bier gilt weltweit als »geschützte Spezialität«, weshalb es bis heute sogar alle Versuche der EU überlebt hat, es ihren üblichen »Harmonisierungs-Richtlinien« zu unterwerfen. Noch sind Hopfen und Malz nicht verloren.
    Genügt den deutschen Reinheitsansprüchen seit 2006 nicht mehr.
     
    >Bierdurst, Freikörperkultur, German Angst, Musik, Mutterkreuz, Reformation, Vater Rhein, das Weib

Schadenfreude
     
    Lustig ist das nicht. Da sitzt du in New York am Broadway, freust dich, Karten für das preisgekrönte Musical Avenue Q ergattert zu haben, und dann bekommst du folgendes Duett zu hören:
    »Oh, schadenfreude, huh?«
    »What’s that, some kinda Nazi word?«
    »Yup! It’s German for >happiness at the misfortune of others<.«
    »Happiness at the misfortune of others? That’s German!«
    Natürlich willst du sofort protestieren. Sicher, das Wort ist deutsch - aber das Phänomen, das es beschreibt? Lachen Briten/Kanadier/Portugiesen, wenn sie vor dem Fernseher sitzen, nicht ebenso schadenfroh über ihre dümmsten Kinder/Hunde/Autofahrer? Waren es nicht amerikanische Biologiestudenten, die 1994 an der Stanford University den Darwin Award ins Leben riefen, jenen Preis, der nur postum verliehen wird, und zwar an einstige Zeitgenossen, die es geschafft haben, sich auf besonders idiotische Weise selbst ins Jenseits zu befördern? Und hat nicht Aristoteles schon über die »epichairekakia«, den Affekt der Schadenfreude, nachgedacht?
    Nein, über Pleiten, Pech und Pannen der anderen wird beileibe nicht nur zwischen Usedom und Lörrach gelacht. Und dennoch … Einen Grund muss es ja geben, dass »Schadenfreude« nicht nur im Englischen als Lehnwort übernommen wurde - und zwar lange bevor der Deutsche sich von seiner Nazi-Seite zeigte. Sind wir Germanen im Kern wirklich so viel boshafter als andere Völker? (Die Schweden, Norweger und Holländer kennen ähnlich gebildete Begriffe.)
    Der dänische Philosoph Sören Kierkegaard erkannte in der Schadenfreude die »noch abscheulichere Base« des Neides. Und gemäß einer gängigen Selbsteinschätzung sind wir Deutschen eine veritable Neidgesellschaft, stets auf dem Sprung, dem Nachbarn sein Haus, sein Auto, sein Boot zu missgönnen. Seit Abschaffung der Monarchie widerspricht ein allzu sichtbares Statusgefälle dem hiesigen Gerechtigkeitsgefühl. Nie ging es sozial wärmer zu als damals, als alle noch zusammen bei fünf Grad minus in derselben Mangelwirtschafts-Warteschlange standen. Spezifisch deutsch am Neid ist nicht, dass er hierzulande intensiver empfunden würde als andernorts, sondern dass er bei uns kein Schattengewächs ist, das still im Verborgenen wuchert - bei uns darf er als stolze Balkonpflanze präsentiert werden, die signalisiert: Hier wohnt einer, der sich nichts vormachen lässt!
    Andererseits: Bereitet es dem Wohlhabenden nicht auch beträchtliches Behagen, dass er auf den öffentlich ausgestellten Neid seiner Mitbürger zählen kann? Warum sonst hätte Jaguar in Deutschland mit dem Spruch werben sollen, ein »besonders günstiges Preis-Neid-Verhältnis« zu bieten? Umso lustiger dann, wenn »der Reiche« seine Edellimousine

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