Die deutsche Seele
soll beseitigt werden. Gleichzeitig geht der Weg nach innen: in die Tiefe des eigenen Herzens, der eigenen Sprache, des eigenen Volkes. Aus dieser Engführung des Einzelnen mit dem Volkskörper entspringen sowohl der Nationalismus als auch der Antisemitismus, den Luther und Wagner teilen. Die individuelle Seele kann sich nicht anders ausdrücken denn durch Sprache. Sprache aber ist ein kollektives Instrument. Rein kann sie nur sein, wenn sie aus einer Volksseele emporsteigt.
Trägt der Luthersche Antisemitismus vorrangig theologische Züge, reizt ihn das jüdische Selbstbewusstsein, sich für das auserwählte Volk Gottes zu halten, wird Wagner zum Ausdrucks-Antisemiten. In seinem berüchtigten Pamphlet Das Judentum in der Musik begründet er die von ihm unterstellte Unfähigkeit jüdischer Komponisten, genuine Tonkunstwerke zu schaffen, denn auch damit, dass sie in keinem der Völker, in die es sie in der Diaspora verschlagen hat, seelisch und sprachlich wirklich verwurzelt seien. Assimilierten sie sich, so käme dabei bestenfalls artig assimilierte Kunst heraus. Versuchten sie hingegen, aus ihren eigenen Quellen zu schöpfen, müssten sie gleichfalls scheitern, weil das Hebräische zu tot sei, um sich noch wirksam zu entfalten, und das Jiddische eine akustische Zumutung, die sich nimmermehr in große Musik verwandeln ließe. Die Tatsache, dass er selbst in seiner Pariser Zeit eine hymnische Kritik zu Fromental Halevys großer Oper La Juive verfasst hat, oder dass Felix Mendelssohn Bartholdy das deutsche Gemüt musikalisch aufs Tiefste zu erfassen vermochte, erklärt der Pamphletist gereizt beiseite.
Es lässt sich nicht beschönigen: Der deutschen Sehnsucht nach Reinheit haftet etwas zutiefst Ambivalentes, ja: Schmutziges an, das sich jederzeit ins Paranoide steigern kann. Ganz gleich, auf welchen Lebensbereich sich diese Sehnsucht richtet.
Begeisterte Sprachreiniger wie der Dichter Philipp von Zesen, der Lexikonverfasser Johann Christoph Adelung oder der Pädagoge und Schriftsteller Joachim Heinrich Campe, Sprachvereine von der »Fruchtbringenden Gesellschaft« bis zum »Pegnesischen Blumenorden« tragen im Barock und in der Aufklärung entscheidend dazu bei, das räudige, in Hunderte von Dialekten zersplitterte Deutsche zu einer Kultursprache zu formen. Ihnen verdanken wir wunderbare Begriffe wie »Augenblick« (statt »Moment«), »Trauerspiel« (statt »Tragödie«), »Leidenschaft« (statt »Passion«) oder »lustwandeln« (statt »spazieren«). Selbst in ihren abstruseren Versuchen, nicht nur Fremd-, sondern auch Lehn- und Erbwörter zu verdeutschen, bleiben sie zumindest Poeten, wenn sie »Fieber« durch »Zitterweh«, »Fenster« durch »Tageleuchter« oder »Nonnenkloster« durch »Jungfernzwinger« ersetzen möchten. (Der viel zitierte »Gesichtserker« - statt »Nase« - hingegen scheint nicht auf das Sprachkonto Zesens zu gehen, sondern eine Verballhornung zu sein, von Zeitgenossen in die Welt gesetzt, die dem Sprachpurismus schon zur Zeit seiner Entstehung skeptisch gegenüberstanden.)
Auf einer Sprache zu beharren, in der Worte mehr als Hülsen und Sätze mehr als Floskeln sind, nachzuhaken, was ein gedan- Broschüre von 1915. kenlos vor- und nachgeplapperter Ausdruck eigentlich bedeuten soll - was wäre dagegen einzuwenden in einer Gegenwart, in der Medien und Politik alles tun, Sprache endgültig zur klappernden Jargonmühle verkommen zu lassen. Auch das Bedürfnis, in den »Wunderschacht« der Sprache hinabsteigen zu wollen, um das »lautere Gold der Wörter« an den Tag zu befördern, wie es sich die frühen Sprachhüter auf die Fahnen geschrieben haben, muss noch keine Alarmglocken schrillen lassen. Heikler wird die Lage erst, wenn das »Urwesen« der Wörter aufgedeckt und das Deutsche zur heimlichen Sprache aller Sprachen verklärt werden soll, weil es angeblich die direkteste Verbindung zu den Dingen besäße. Dass der Schritt von solch essentialistischer Sprachmystik zu rassistischem Sittlichkeitswahn nur noch ein kleiner ist, zeigt sich lange vor dem Nationalsozialismus bei Joachim Heinrich Campe. In der Vorrede seines Wörterbuchs zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke von 1813 beklagt der Verfasser: »So wie die Strenge der Sitten, Zucht und Ehrbarkeit, durch Verfeinerung, Standeserhöhung und steigende Üppigkeit gewöhnlich vermindert werden: So ließ auch unsere Sprache, so wie sie vornehmer und eine Dienerin der Gelehrsamkeit und der
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