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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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besten! - stammt von Wilhelm Busch, dem großen Exerziermeister des deutschen Humors.
     
    >Sozialstaat, Spiessbürger

Schrebergarten
     
    Nirgends lässt sich die deutsche Seele auf kleinstem Raum so farbenfroh besichtigen wie im Schrebergarten. Da grüßt schon am Eingang der Gartenzwerg. Die Apfel, Sorte »Alkmene«, stehen Spalier, die Gartenordnung sieht einen Mindestgrenzabstand von eineinhalb Metern zwischen Baum und Zaun vor. Die Zwiebel- und Möhrenbeete sind mit der Schnur gezogen, vorschriftsgemäß nimmt das Gemüse nicht mehr als ein Drittel der Gartenfläche ein - für Obst, Ziersträucher, Blumen und Rasen soll auch noch Platz sein. (Auf die Anpflanzung giftiger oder sonstiger gefährlicher Gewächse ist zu verzichten, heimischen Pflanzenarten sollte der Vorzug gegeben werden.) Auf dem Pfad wächst kein Unkräutchen, obwohl die Verwendung von chemischen Unkrautvernichtungsmitteln verboten ist, ebenso wie das Betonieren von Wegen und Wegeinfassungen. (Die Verlegung von Rasengittersteinen ist gestattet.) Vor der Laube (erdgeschossig, nicht unterkellert, maximale Größe 24 m 2) dürfen die Chrysanthemen, Züchtung »Rotwild«, in Maßen wuchern. (Ursprünglich hätten sie »Hirsch tritt im Abendsonnenschein aus Waldrand hervor« heißen sollen, aber das passte nicht aufs Etikett.) Sofern es sich um keine vegetarisch/vegan ausgerichtete Schrebergartenkolonie handelt und sich der Nachbar nicht gestört fühlt (hier ist insbesondere an Rauch- und Geruchsbelästigung zu denken), hat niemand etwas dagegen, wenn sich auf dem Grill ein paar Bratwürste bräunen. Die Benutzung von Hand- und Motorrasenmähern, Kettensägen, Heckenscheren, Häckslern sowie anderen Geräusche entwickelnden Geräten hingegen ist in jedem Fall nur montags bis samstags von 7:00 bis 13:00 Uhr und von 15:00 bis 19:00 Uhr erlaubt. An Sonn- und Feiertagen ist die Benutzung vollständig untersagt (siehe Gefahrenabwehrverordnung gegen Lärm). Das Anlegen eines Feuchtbiotops ist gern gesehen, eventuelle Bestimmungen hinsichtlich der erlaubten Baumaterialien (Folien aus PVC/Kautschuk oder Tonabdichtung) sind zu beachten. Jeder Gartenpächter ist zur Leistung von Gemeinschaftsarbeit verpflichtet.
    So wie es den Wald-Deutschen gibt, dessen Seele sich im Unterholz verfangen hat, gibt es den Schrebergarten-Deutschen, der sich zwar gleichfalls zurück in die Natur sehnt, diese aber gern im Griff behält. Das Dunkle, Moosig-Modrige ist seine Sache nicht. Der Schrebergarten-Deutsche verhält sich zum Wald-Deutschen wie der Schäferhund zum Wolf. Man mag ihn als spießig belächeln - auf einer höheren Kulturstufe befindet er sich.
    Dialektische Verwicklungen begleiten den Schrebergarten seit seiner Geburt. In den Jahren 1865/1866 ließ der Schuldirektor Dr. Ernst Innocenz Hauschild am Rande der Leipziger Innenstadt den allerersten »Schreberplatz« anlegen. Zu Beginn hatte dieser nichts zu tun mit den parzellierten Paradieschen, die wir heute mit dem Namen verbinden, oder mit den »Armengärten«, die seit den 1820er Jahren in ganz Deutschland aus dem Boden sprossen, damit sich auch Not leidende Städter mit frischem Obst und Gemüse versorgen konnten. Bei dem Leipziger Modell handelte es sich zunächst um die Ausweitung des Schulhofs mit reformpädagogischen Mitteln. Die Jugend, die damals schon im Verdacht stand, in den »reißend schnell anschwellenden Städten« zu degenerieren, sollte einen »Tummelplatz« bekommen, auf dem sie unter Aufsicht eines »Spielvaters« Gymnastik treiben konnte. Zu diesem Zweck wurden auf einem Rasengrundstück verschiedene Turngeräte aufgebaut, in dem Vereinshaus daneben wurde eine Bibliothek eingerichtet, in der auch Vorträge über Erziehungsfragen gehalten wurden. Erst der pensionierte Oberlehrer Karl Gesell kam - möglicherweise inspiriert von den Fröbel-Kindergärten, die damals als Speerspitze der frühkindlichen Pädagogik galten - wenige Jahre später auf den Einfall, rund um den Spielplatz Beete anzulegen, damit sich die lieben Kleinen auch bei der Gartenarbeit ertüchtigten. Die Lust der Sprösslinge am Säen und Jäten ließ jedoch rasch nach, weshalb die Eltern begannen, sich um die verwildernden Pflanzungen selbst zu kümmern. Aus »Kinderbeeten« wurden »Familienbeete«; aus einem gescheiterten Erziehungsprojekt des erwachsenen Großstädters liebste Freizeit-Therapie.
    So lernen Kinder Spalier-Sitzen: verschiedene Modelle des »Geradhalters« von Dr. Daniel Gottlo Moritz Schreber.
    Einer hat nie

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