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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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an den Laternenpfahl setzt. Noch lustiger wäre es nur, »den Reichen« selbst an dieser Laterne baumeln zu sehen …
    Nicht jedes Gelächter über Unbill, das einem anderen widerfährt, ist tatsächlich schadenfroh. Wie oft hat man es nicht selbst erlebt, dass man erst einmal lachen muss, wenn die beste Freundin mit dem Sushi-Tablett in der Hand die Treppe hinunterfällt - wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen -, bevor man zu Hilfe eilt. Alle Theorien übers Lachen wissen, dass dem Gelächter ein Scheitern, eine (kleine) Katastrophe vorausgeht. Der sonst auf reibungsloses Funktionieren getrimmte Alltag rutscht auf einer Bananenschale aus. Man lacht weniger über das Unglück des anderen als vielmehr darüber, dass man, zumindest dieses Mal, davongekommen ist. Das aufgeschlossene Herz lacht letztlich über sich, weil es ahnt, dass es ebenso gut selbst hätte im Schlamassel landen können.
    Echte Schadenfreude dagegen ist durch und durch kalt, mitleidlos. Der, dem gerade ein schlimmer, wenn nicht gar tödlicher Schaden widerfährt, ist nicht mein Abbild, sondern mein Feind. Sein Scheitern verrät nichts über das Scheitern, das ständig über meinem eigenen Haupt schwebt, sondern es geschieht ihm recht. Ich verachte ihn so sehr, dass ich seinen Lapsus noch nicht einmal mit dem pädagogischen Kalenderspruch kommentiere: Aus Schaden wird man klug. Der da kann oder soll gar nicht mehr klug werden. Der da soll nur noch weg.
    Echte Schadenfreude applaudiert bewusst dem Untergang. So frohlockt der Schriftsteller Ernst Jünger, ein radikaler Bekämpfer der Weimarer Republik, in einem Brief kurz nach den Reichstagswahlen vom September 1930, bei denen die braunen und roten Feinde der Demokratie gemeinsam fast ein Drittel der Wählerstimmen erhielten: »Ich wandele seit einigen Monaten um hundert Prozent aufgewertet mit einer apokalyptischen Schadenfreude herum, wenn ich an den europäischen Porzellanladen denke und an den Zyklon, dessen Zentrum sich mit mathematischer Präzision zu nähern beginnt.«
    Dieselbe Unerbittlichkeit spricht aus dem »Nachruf«, den ein »Göttinger Mescalero« im April 1977 auf den von der RAF ermordeten Generalbundesanwalt Siegfried Buback verfasst: »Meine unmittelbare Reaktion, meine Betroffenheit nach dem Abschuss von Buback ist schnell geschildert: Ich konnte und wollte (und will) eine klammheimliche Freude nicht verhehlen.« Bleibt die Frage, ob die sprichwörtlich gewordene »Klammheimlichkeit« der Freude einer letzten Gewissensregung geschuldet ist oder lediglich der Furcht vor dem »Radikalenerlass«, den die Bundesregierung Willy Brandt erließ.
    Sind wir Deutschen also tatsächlich die kältesten Sadisten, so dass es uns nur recht geschieht, wenn im Englischen, Französischen, Italienischen, Polnischen und anderen Sprachen ein deutsches Wort zur Bezeichnung dieses unschönen Zugs der menschlichen Seele herhalten muss? Oder sprechen wir einen universalen Charakterfehler einfach am präzisesten, ungeschminktesten aus?
    Die Wahrheit dürfte sein, dass uns wieder einmal die nüchterne Mitte fehlt. »Freude, schöner Götterfunken, / Tochter aus Elysium! / Wir betreten feuertrunken, / Himmlische, dein Heiligtum«, lässt Friedrich Schiller in seiner Ode An die Freude jubeln, die durch Ludwig van Beethovens Vertonung endgültig zur deutschen Allrausch-Hymne wird: »Deine Zauber binden wieder, / Was die Mode streng geteilt, / Alle Menschen werden Brüder, / Wo dein sanfter Flügel weilt.«
    Muss es einen wundern, dass derjenige, der so überschwänglich aufgefordert wird, gleich die gesamte Menschheit an die Brust zu drücken, im Gegenzug nur allzu leicht bereit ist, sein Herz komplett abzuschotten?
    Den Versuch, eine umfassende Ethik ausschließlich auf das Gefühl des Mitleids zu gründen, verdankt die westliche Philosophie Arthur Schopenhauer. Konsequenterweise erscheint dem deutschen Denker die Schadenfreude nicht bloß als »der schlechteste Zug in der menschlichen Natur«, da sie »der Grausamkeit enge verwandt« sei, sondern wird von ihm gar als »teuflisch« verurteilt: In ihrem Hohn erklinge »das Gelächter der Hölle«. Mehr als nur nebenbei sei angemerkt, dass der Vater der Mitleidsethik selbst ein derart rechthaberischer Misanthrop war, dass nicht einmal die eigene Mutter seine Gesellschaft ertrug.
    Das Einzige, das bei diesem tristen Thema gewiss ist: Die trefflichste Darstellung der Schadenfreude samt ihrer fatalen Folgen - denn wer zuletzt lacht, lacht am

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