Die deutsche Seele
Lauschen wir deshalb zum Schluss einem, dem es gelingt, Bäume zu lieben, ohne der Baumhysterie zu verfallen - obwohl er ein Deutscher ist.
»Erlauben Sie mir zunächst, mich vom Verdacht einer lavendelduftenden Sentimentalität zu reinigen […] Wir wissen alle, dass Autostraßen nötig sind; dass brave grüne Idyllen vernichtet werden müssen, wollen wir nicht in einem Naturschutzmuseum vegetieren […] Was aber ist Deutschland, wenn nicht seine Wiesen, seine Wälder, seine Flüsse und seine Bäume? […] Aus dem Getöse der Autos, den Schreien der Sirenen und den kurvenheulenden Bahnen steigt leise und fast unhörbar ein Gedanke in die Welt, der neu und alt zugleich ist: der nämlich, dass sich die Seele nicht töten lässt. Dass sie derer spottet, die sie auf Flaschen ziehen wollen. Die sie registrieren wollen. Dies ist vielleicht eine seelenlose Zeit. Aber es ist eine, die die Seele sucht.
Nun ist ein alter Baum ein Stückchen Leben. Er beruhigt. Er erinnert. Er setzt das sinnlos heraufgeschraubte Tempo herab, mit dem man unter großem Geklapper am Ort bleibt. Und diese alten Bäume sollten dahingehen, sie, die nicht von heute auf morgen nachwachsen? Die man nicht >nachliefern< kann? Die nicht in Serien, frei ab Wald, wieder aufgebaut werden können? Nur, damit Beamte etwas zu regieren haben? Nein, das muss nicht sein. Sie sollen stehen bleiben, uns Schatten spenden und leben - gegen die Tollheit betriebsseliger Kleinbürger im Geist und im Amt.«
Dies schreibt in Berlin am 10. Dezember 1930: Kurt Tucholsky.
>Freikörperkultur, German Angst, Jugendherberge, Mittelgebirge, Schrebergarten, Waldeinsamkeit, Wanderlust
Buchdruck
Es war zunächst einmal eine technische Erfindung und sollte, wie bei Erfindungen üblich, die Sache einfacher machen. Johannes Gutenberg, ein Mainzer Goldschmied, hat um die Mitte des 15. Jahrhunderts ein maschinelles Drucksystem mit beweglichen Metalllettern eingeführt: seine Druckerpresse. Als er sie in Gang setzte, spielte die Klosterhandschrift noch eine praktische Rolle. Es ging schließlich um gleich bleibende Bücher wie die lateinische Bibel, und selbst das Abschreiben zur Vervielfältigung hatte Schönschrift zu sein. Hierzu hätten feste Druckplatten genügt. Die fest gegossenen hielten sogar länger.
Mit Gutenbergs losen Lettern schien es, als gewinne auch der Text an Dynamik. Es war die größte Revolution der Informationsmöglichkeiten, und die Technik war Teil dieser Revolution. Das Verfahren blieb über Jahrhunderte fast unverändert und ist auch heute noch im Prinzip das gleiche.
Gutenbergs Druckverfahren breitete sich in ganz Europa aus. Die meisten Druckorte aber gab es im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Die durchschnittlichen Auflagen lagen anfangs bei 150 bis 250 Exemplaren, das meiste wurde in lateinischer Sprache gedruckt. Im darauffolgenden 16. Jahrhundert war die Luther-Bibel das auflagenstärkste Buch.
Der Buchdruck spielte eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung der Ideen am Ende des Mittelalters, ohne ihn wäre die Neuzeit nicht oder weit langsamer in Gang gekommen. Ohne den Setzkasten Gutenbergs und sein Zusammentreffen mit der Luther-Bibel wäre die Reformation viel schwerer durchzusetzen gewesen, vielleicht sogar undurchführbar. Frankreichs König Franz I. machte 1535 sogar den Versuch, das Drucken jeglicher Bücher mit dem Bann zu belegen.
Mit Gutenberg nimmt das Buch nicht nur seine moderne Gestalt an, es entsteht auch der Buchmarkt, und mit dem Schriftsteller Luther tritt der Bestsellerautor in Erscheinung. Marshall McLuhan, der große Medientheoretiker des 20. Jahrhunderts, hat das von ihm vermessene Buchzeitalter 1962 als »Gutenberg-Galaxis« bezeichnet, eine Hommage an den Patrizier aus Mainz. Über den man im Übrigen kaum etwas weiß, außer dass er mit den Zünften in Konflikt geriet, nach Straßburg ging und erst nach vielen Jahren zurückkehrte, verschuldet, aber hartnäckig im Glauben an seine Erfindung, deren Perfektionierung er sein ganzes Leben widmete.
Der Setzkasten hat dem Bürger den Zugang zum Buch ermöglicht, er hat aber auch den Buchdrucker als soziale Gruppe hervorgebracht, den Proletarier mit Monokel, der die Bildung zum großen Thema für die Arbeiterschaft im 19. Jahrhundert erklärte. Aus seinen Reihen gingen zahlreiche Arbeiterinteressenvertreter und nicht zuletzt SPD-Politiker hervor: der erste gewählte Präsident der Weimarer Republik, Friedrich Ebert; Philipp Scheidemann, einflussreiches
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