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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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lassen, was ich mir theoretisch erschlossen hatte. Was hat die arme Tapfere nicht alles erdulden müssen! Eine hässliche Brandblase am Kopf, versengtes Haar - aber eine Strähne blieb damals schon, als ich noch ganz am Anfang stand, dauerhaft gelockt zurück. Da wusste ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin.
    Um Missverständnisse zu vermeiden: Nie habe ich mit dem Haar meiner Kundschaft experimentiert! In all den Jahren in London und New York, als in meinen Salons täglich hundert, zweihundert und mehr Dauerwellen gelegt wurden, musste keine einzige Kundin Beschwerde gegen mich führen, weil ich sie oder ihr Haar geschädigt hätte. Nur wer keine Klagen im Geschäft erzeugt, hat eine gute Zukunft vor sich. Was wir in meiner Heimat »Hanswursteleien« nennen, darf in der Aufnahme der Dauerwelle nicht geduldet werden. Deshalb habe ich immer darauf bestanden, dass in meinen Salons nur Dauerwellen, und zwar nichts als Dauerwellen angefertigt werden. Der Friseur, der im Allgemeinen stehen bleibt, schlägt doch nur selbst den Boden aus seinem Daseinsschiff.
    Stellen Sie sich nun einen Mann vor, der während der Jahre des Ersten Weltkriegs aus London fliehen musste, weil er sich weigerte, seine deutsche Staatsbürgerschaft zugunsten der britischen aufzugeben, der nach Amerika aufbrach, um in der Neuen Welt ein neues Geschäft zu gründen, obwohl er auch dort das Kainszeichen des Feindes trug.
    Vermutlich werden Sie sich fragen, warum ich damals nicht einfach in meine Heimat zurückgekehrt bin. Ich kann nur sagen: Meine Berufung lag nicht darin, mit dem Gewehr in der Hand zu kämpfen. Auch wenn ich meine Heimat in späteren Jahren, als sie im Elend versank, während mein Wohlstand ins Endlose zu wachsen schien, wahrlich großzügig unterstützt habe, hätte ich nicht aufs Schlachtfeld hinausgewollt. Hinzu kam, dass Deutschland mir damals noch nicht reif zu sein schien, um meine Ideen wirklich aufzunehmen. Und ein klein wenig ist es sicher auch die Lust am Abenteuer gewesen, die mich das Schiff nach Amerika besteigen ließ.
    Was musste ich jedoch bei meiner Ankunft in New York feststellen! Andere hatten meine Patente bereits verwertet, über 600 Dauerwellenapparate waren im Umlauf. Aber was für Apparate, erbärmliche Kopien, mit denen noch dazu falsch hantiert wurde! Die Arbeit, die mit dem Raub meiner Idee geleistet worden war, war so schlecht, dass keine einzige Kundin bereit gewesen wäre, sich ein zweites Mal eine Dauerwelle legen zu lassen. Aber ich ließ mich nicht entmutigen, investierte mein letztes Geld in Flugschriften und Inserate, um das verlorene Vertrauen des amerikanischen Publikums in die Dauerwelle wiederherzustellen. Ich will mich nicht selbst loben - es war ein glänzender Erfolg!
    Allerdings dauerte es auch in New York eine Weile, bis ich mich wirklich durchgesetzt hatte. Wie schon in London beharrte ich darauf, dass gute Arbeit ihren guten Preis haben muss, und verlangte zwei Dollar pro Wickler. Ich kannte ja die Vorzüge wirklichen Wissens und Könnens. Und letztlich hat dann auch die Kundschaft begriffen, dass Charles Nestle wenig versprach - um viel zu geben. 1922 schon konnte ich damit beginnen, mein Geschäft zu vergrößern, erst belegte ich zwei Häuser in der 49. Straße (Ost), 1927 erstreckte sich mein Salon dann über die ganze Häuserfront von Nummer 8 bis Nummer 14. Ich eröffnete weitere Geschäfte am Broadway und in der 5th Avenue, begann mit der Produktion von Dauerwellenapparaten für den Heimgebrauch, mein Aufstieg schien unaufhaltsam zu sein.
    Doch ich spürte, wie es mich weniger und weniger befriedigte, reiner »businessman« zu sein. Die beste Eigenschaft, die der Mensch hat, ist, dass er nie zufrieden ist, sondern immer vervollkommnen will. Also verkaufte ich 1926, auf dem Höhepunkt meines Erfolgs, sämtliche Geschäfte und Fabriken für die stolze Summe von i 600 000 Dollar - und zog mich auf meinen geliebten Landsitz »Deerpark« zurück, um mich dem weiteren Haarstudium zu widmen. Wenn es mir schon vergönnt war, das Haargesetz ergründet zu haben, wollte ich dieses Wissen auch schriftlich niederlegen, also schrieb ich Abhandlungen, Die Geschichte des Haares und, wichtiger noch, Unser schwindendes Haar.
    Denn das war ja das zweite große Problem, das mir keine Ruhe ließ: den Prozess der Haaralterung zu begreifen - um ihn eines Tages aufhalten zu können. Ich war sicher, mit meinem »ChaNess«, jenem Apparat, der Haar und Haut verjüngte, das Problem der Glatze endlich

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