Die deutsche Seele
Vorstandsmitglied der Partei und in den goldenen 1920er Jahren Oberbürgermeister in Kassel; Max Kegel, der Herausgeber des Sozialdemokratischen Liederbuches (1891); J.H.W. Dietz, der Verleger der Sozialdemokratie; aber auch Otto Grotewohl, Mitbegründer der SED und Marionette Walter Ulbrichts.
Buchdrucker war stets mehr als ein Beruf. Das belegt auch die Sprache des Milieus, die als Fachsprache entstanden ist, aber in ihrer Verklausulierung den Kennern die Möglichkeit gab, sich vom Rest der Kleine-Leute-Welt abzuheben. Als Beispiel die kurze Beschreibung eines alten Rituals des Druckergewerbes, des Postulats: Man trägt dazu den Cornuten-Hut. Dieser wird dem Cornuten aufgesetzt, wenn er zum Postulat schreitet. Bei der Deposition wird er ihm vom Depositor abgenommen. Der Cornut (lat. der Gehörnte) ist ein junger Buchdrucker, der ausgelernt hat, aber noch nicht unter die Gesellen aufgenommen wurde, wozu er erst der feierlichen Deposition bedarf, im Rahmen derer er seine Hörner ablegt, sie abstößt. Ursprünglich ein Studentenbrauch, den die Drucker übernommen haben. Mit dem Postulat ist also die Forderung und der Prozess der Aufnahme unter die Gesellen gemeint.
>E(rnst) und U(nterhaltung), Kulturnation, Pfarrhaus, Reformation
Dauerwelle
Sehr geehrter Karl Ludwig Nessler,
verzeihen Sie, dass ich Ihre Totenruhe störe. Aber mein Friseur hat mir erzählt, dass Sie derjenige waren, der die Dauerwelle erfunden hat. Seither lässt mir die Frage keine Ruhe, ob es Zufall war, dass Sie, ein Bub aus dem Schwarzwald, zum Vater der Dauerwelle wurden, oder ob es einen tieferen Zusammenhang gibt, dass ausgerechnet ein Deutscher der Welt die Dauerwelle beschert hat.
Mit herzlichem Gruß,
Ihre Thea Dorn
Sehr verehrte Frau Dorn,
haben Sie Dank für Ihre interessierten Zeilen! Gern will ich versuchen, Ihnen zu antworten, wenngleich ich sehr beschäftigt bin, das Haarverhalten unter Jenseits-Bedingungen zu erforschen. (Ich wage zu behaupten, dass ich kurz vor einem großen Durchbruch stehe, aber bitte verstehen Sie, dass es mir zum jetzigen Zeitpunkt ratsam scheint, mich diesbezüglich in Schweigen zu hüllen. Sie machen sich keine Vorstellungen, mit welcher Kaltblütigkeit meine wirtschaftlichen Ideen seit je gestohlen wurden.)
Wie Sie sehr richtig schreiben, stamme ich aus dem Schwarzwald, aus Todtnau, um genau zu sein. Wenn ich recht unterrichtet bin, wurde mir dort die Freundlichkeit eines kleinen Museums zuteil. Das zeigt, dass ich im Herzen meiner Landsleute nicht gänzlich vergessen bin - so wie ich meine Heimat nie vergessen werde, auch wenn ich ihr bereits früh den Rücken gekehrt habe, um mein Glück in der Schweiz, in Frankreich, in England und zuletzt gezwungenermaßen in Amerika zu suchen. Meinen Salon in London, den ich mit so viel Mühe und Fleiß aufgebaut hatte, musste ich nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs aufgeben, weil ich in England plötzlich nicht mehr »Charles Nestle« war, der Mann, der die Haare von Londons Damenwelt so verlässlich zu wellen verstand wie kein zweiter, sondern zum »feindlichen Ausländer« wurde.
Falls Sie sich über meinen französischen Namen wundern: Den »Karl Ludwig« hatte ich bereits in meinen Genfer Lehrjahren zugunsten des »Charles« aufgegeben. Als ich mich dann anschickte, den ersten eigenen Salon zu eröffnen, warnte mich Katharina, meine zukünftige Angetraute, sehr zu Recht, dass mich in London niemand eines Blickes würdigen würde, sollte ich mich als »Karl Ludwig Nessler aus Todtnau« vorstellen. So wurde ich also »Charles Nestle aus Paris«. Ich hoffe, Sie legen mir dies nicht als Verrat aus. Aber was hätte ich tun sollen, die Zeiten waren so, als Friseur galt man nur etwas, wenn man aus Paris kam. Und - ich sage dies nicht ohne Schmerz: Verdenken mochte ich es den Engländern nicht, dass sie ihre Haare damals keinem Barbier aus Todtnau anvertraut hätten. Noch immer erfüllt es mich mit Schrecken, wenn ich an meine Lehrzeit bei Meister Busam in Schopfheim zurückdenke. Mit Haar, das seit meiner frühen Kindheit doch meine größte Leidenschaft war, durfte ich mich gar nicht befassen, stattdessen musste ich Männerkinne einseifen und schaben und - das Allerschlimmste! - dem Meister helfen, wenn Kundschaft zum Schröpfen oder Zahnbrechen kam. Als mich eines Tages so ein ungehobelter Holzfäller ohrfeigte, beschloss ich, mein Bündel zu schnüren und in die Welt hinaus zu gehen.
Eine Weile zog es mich zum Uhrmacherhandwerk hin, und dann war
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