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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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es ja auch die Zeit, in der die ersten Betriebe damit begannen, elektrische Apparate herzustellen, es war faszinierend! Begierig sog ich alles Neue auf, das sich mir zeigte, und doch spürte ich immer deutlicher, dass meine eigentliche Berufung anderswo lag: Ich musste das Problem des naturwelligen Haares lösen, wie es sich mir als kleinem Buben schon gestellt hatte!
    Immer wieder ist von engstirnigen Geistern in aller Welt über mich gespottet worden: Der Nessler, der würde am liebsten eine wissenschaftliche Hochschule für Dauerwellen gründen. Nichts hätte mir je ferner gelegen! Es war mir immer um die wirtschaftliche Verwendung meiner Entdeckungen zu tun. Und dennoch muss ich mit aller Bescheidenheit - ich weiß, ich habe nie eine akademische Ausbildung genossen -, dennoch muss ich darauf bestehen, dass ich zu meiner Entdeckung, wie sich das menschliche Haar auch am lebenden Kopf dauerhaft wellen lässt, nie hätte gelangen können, ohne dass ich zeit meines Lebens die gründlichsten Studien betrieben hätte, um das Problem vom Ansatz her zu lösen. Der von mir hoch geschätzte Marcel, bei dem ich in Paris selbst Privatstunden genommen habe, hatte ja die allergrößte Kunstfertigkeit darin entwickelt, Haar zu ondulieren - aber wissenschaftlich durchdrungen hat er das Problem eben nie! Auch er, der wahrlich ein Meister unseres Berufs war, wollte nichts von meiner »Theorie der Vorregenäußerung« hören. Erfahrungen zeigen, dass der Friseur im Grunde genommen nicht zum Studieren geneigt ist.
    Dabei ist es doch offensichtlich, dass es einen tieferen Grund dafür geben muss, warum ich schon am naturwelligen Haar meiner älteren Schwestern stets zuverlässig hatte ablesen können, ob es bald Regen geben würde - nämlich immer dann, wenn es sich noch stärker lockte als sonst, während das Haar meiner nichtgewellten Schwestern ganz unveränderlich glatt blieb. Oder jene unvergessliche Beobachtung, die ich als Bub beim Ziegenhüten gemacht hatte: Was war mit den Hunderten und Tausenden von dürren Zweigen und Pflanzenfasern am Waldesrand, die sich frühmorgens in locken-, spiral- und wellenförmiger Bewegung fanden, um Stunden später wieder gerade herabzuhängen? Ich ging am nächsten Morgen hin und untersuchte es! Und stellte fest, dass die gelockten Zweige voll Feuchtigkeit waren. Der Morgentau hatte sich in die Zellen geflüchtet, sie ausgefüllt, die Stängel in die Weite getrieben und an Länge zusammengezogen. Dann aber entzog die immer höher steigende Sonne den Pflanzen ihre Feuchtigkeit, die Zellen fielen zusammen, die Spannung ließ nach, der Wuchs streckte sich gerade. Der Schluss aus all meinen Beobachtungen konnte nur sein: Sich am Kopfe wellendes Haar ist keine Tatsache, sondern eine Folge!
    Das war, wenn Sie so wollen, die Geburtsstunde der Dauerwelle. Nur Haar, das bereit ist, Feuchtigkeit aufzunehmen und zu speichern, vermag sich zu locken. Ein Bub aus Todtnau, der weder richtig lesen noch schreiben konnte, schickte sich an, die Struktur des menschlichen Haars zu begreifen! Einsichten zu gewinnen, vor denen all die anderen Meister ihre Augen verschließen wollten!
    Aber glauben Sie mir: Es war noch ein weiter, steiniger Weg, den ich zurücklegen musste, bis ich von diesen meinen frühesten Naturbeobachtungen endlich zur dauerhaften Herstellung gewellten Haars am menschlichen Kopfe schreiten konnte.
    Ich sage es mit tiefer Dankbarkeit: Ich glaube nicht, dass ich diesen Weg ohne meine Katharina je bis zum erfolgreichen Ende hätte beschreiten können. Keiner meiner Lehrmeister in Genf und Paris war bereit, mich bei meinen Experimenten zu unterstützen, ja auch mein Chef in London, in dessen Salon ich schließlich meine erste Anstellung als Geschäftsführer gefunden hatte, wollte nichts von meinem Traum einer Dauerwelle wissen, sondern versuchte mich zu nötigen, bei der ewig gleichen Marcel-Ondulation stehen zu bleiben. Aber ich musste meine Haarstudien weiter betreiben. Ich spürte, dass ich kurz davorstand, das Problem auch praktisch zu durchdringen. Mein Apparat war weit entwickelt, die chemische Lösung hatte ich gefunden. Also forschte ich heimlich weiter, bis mich mein Chef eines Nachts überraschte und auf der Stelle entließ.
    Ich stand vor dem Nichts, allein in London, doch da erschien mir zum zweiten Mal im Leben mein rettender Engel, meine Katharina. Schon in Paris, als wir uns bei der Arbeit zuerst kennengelernt hatten, war sie als Einzige bereit gewesen, mich an ihrem Haar anwenden zu

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