Die deutsche Seele
nicht, Musil zu sagen und Grimmelshausen. Man nenne sie in einem Atemzug, aber man sage bitte möglichst nicht »kafkaesk«. Das gehört zur Terminologie der literaturinteressierten Friseure.
Es ist die Freiheit der Beurteilung, die der Kunst die Grenzen setzt.
Bleibt die Frage, wann und wie der Dichter und Denker zu seinem von allen offenbar anerkannten Ruf kommen konnte, durch den er nicht zuletzt auch Macht erwarb, eine ganz neue Form der Macht, die nicht mehr die Schwerter kontrollierte, sondern den Tagesbefehl und den Schlachtruf.
Es war die Aufklärung des 18. Jahrhunderts, die dieses möglich machte, indem sie sich aus der Religionsdienstleistung verabschiedete. Es war die Begleitmusik der Säkularisation. Im Ergebnis hatte der Theologe den Platz in der Öffentlichkeit für den Philosophen zu räumen. Man orientierte sich nicht mehr an Melanchthon, sondern an Leibniz. Die Philosophie wird zum Beruf. Die Macht, die die Dichter und Denker nun hatten, beruhte auf einer Sprachregelung, aber auch auf dem Instrument Sprache selbst. Die Vernunft, auf die man sich berief, beruhte auf der Kommunikation. Das Wort aber ist nicht nur Münze, sondern auch Sinnbild. So konnte man das Land der Griechen mit der Seele suchen.
Das Profane, dem man sich klar denkend zugewandt hatte, macht nicht nur das Sakrale klein und mickrig, sondern vor allem sich selbst: Die Lessings erklärten sich zu Weltbürgern und blieben in Wolfenbüttel.
Das Bürgertum übernimmt im 18. Jahrhundert die Rituale, ohne den Adel abzulösen. Auch sie, die Bürger, konnten im Prinzip König sein, aber sie würden nie die mittelalterliche Autorität, die auf den zwei Körpern des Königs beruht, dem irdischen und dem himmlischen, für sich beanspruchen können. So hat sich der Denker in die Verlegenheit des aufgeklärten Absolutismus begeben. Er ist vom konventionellen Hofdichter zum Gelegenheits-Arschkriecher geworden.
So war es zumindest in Deutschland. Der Ernsthaftigkeit einer höfischen Kultur fehlte hier schlicht der Hof. Die vielen Fürsten konnten höchstens Sponsoren sein, nicht anders als heute die Kommunen, die sich mit einem Stadtschreiberstipendium für Schriftsteller hervortun wollen. Den Klein- und Großfürsten konnte man huldigen, man konnte es aber auch bleiben lassen.
Das galt auch für Preußen. Was hatten Lessing und Friedrich II. als bekennende Aufklärer gemeinsam? Friedrich war zunächst einmal Monarch. Die Aufklärung leistete er sich privat. Ansonsten wurde auch ihm gehuldigt.
Unter den Dichtern, die Friedrich II. zu dessen Lebzeiten besangen, war auch Johann Wilhelm Ludwig Gleim. Er wiederum galt als der größte deutsche Dichter im 18. Jahrhundert und war gleichermaßen berühmt für seine Preußischen Kriegslieder in den Feldzügen 1756 und 1757 von einem Grenadier und seine Mondgedichte und sonstige Anakreontik.
Originalton Gleim: »War nur Monarch, war nie Despot, / Macht ging ihm nie vor Recht / War unser erster Patriot / Des Vaterlandes Knecht.«
Die in deutscher Sprache verfasste Gelegenheitsdichtung dürfte dem Monarchen allerdings entgangen sein. Nach eigenem Bekunden hatte er nämlich seit seiner Jugend kein deutsches Buch mehr gelesen. Friedrich II. bevorzugte das Französische, das er aber nur mit einer gewissen Approximation beherrschte, will man Voltaire und dessen maliziösen Bemerkungen über den preußischen Konversationspartner Glauben schenken, von dem er sich ganz gern an den Hof einladen ließ.
Selbst »Vater« Gleim, finanziell sorgenfreier Kanonikus in Halberstadt, hat es zu einer überraschenden Volte im Schlussvers seines letzten Gedichts auf den Monarchen, ein dreiviertel Jahr vor dessen Tod, gebracht. Darin heißt es plötzlich: »Er ließ uns alle Freiheit, selbst / die Freiheit - dumm zu sein!«
Friedrich II. hat den Vers, wie man heute feststellen kann, ohne Schaden überstanden. Voltaire verzeiht die Geschichtsschreibung ohnehin alles, nur den Gleim kennt keiner mehr. Dafür hat er in Halberstadt ein eigenes Museum. Es wurde 1862 eingerichtet und ist eines der ältesten Literaturmuseen in Deutschland.
Und was ist mit Lessing? Er war an allen Aufklärungsfronten tätig, suchte schließlich die Macht des Wortes auf der Bühne zu nutzen, als wäre es die Kanzel, und das alles, um als Krönung zum Versöhnungskitsch des Nathan zu gelangen.
Die Dichter und Denker beklagen sich gern über ihren ungesicherten Status. Das Missverständnis über ihre Rolle ist aber nicht nur der Macht
Weitere Kostenlose Bücher