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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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billiger wären, wenn man sie sich nimmt - zum Preis des Friedens. Und Krieg ist teuer. Teurer noch als Frieden.
    Bismarck lehnte die Kolonialidee anfangs grundsätzlich ab. Er sah keinerlei ökonomischen Sinn darin und damit sollte er auch Recht behalten. Die deutschen Kolonien haben stets mehr gekostet, als sie unterm Strich einbringen konnten. Aber die herrschende Ideologie des 19. Jahrhunderts, bestimmt durch die weltweiten Machtoptionen von England und Frankreich und getragen vom Materialismus der aufkommenden Industrie, machte die Kolonialidee zu einem Pflichtfach der Machtpolitik. Ohne Kolonie gab es keinen Zutritt zum Club.
    Die neuen Forschungsreisenden, die nach Alexander von Humboldt kommen, sind auch Wissenschaftler, die aber nicht mehr einem Ganzen verpflichtet sind, sondern sich mit dem sogenannten Detail beschäftigen. So hatte sich ein kleiner Club von Kennern und Spielern zusammengefunden, deren Interesse an der Forschung sich mit dem Interesse an der politischen Macht verband. Sie wollten nicht nur Schmetterlingssammler, sie wollten auch Gouverneure sein.
    Als einer von ihnen, Eduard Vogel, im Sudan verschwand, und sein Verschwinden sich in zahllosen Legenden niederschlug, wurden eigens Expeditionen losgeschickt, um sein Schicksal aufzuklären. Die Forschungsreise wird zur Aufklärung der Forschungsreise. Zum Nachrichtenereignis, zur Sensation. Spätestens da aber kann sich die deutsche Öffentlichkeit dem Zauber der Afrika-Forschung nicht mehr entziehen.
    Vogels Popularität in Deutschland wird durch seinen Verleger August Petermann, Herausgeber von Petermanns geographischen Mitteilungen, einem Organ der öffentlichen Neugier, wachgehalten. Einige seiner Kollegen werden im deutschen Kolonialismus eine Rolle spielen: Gustav Nachtigal und vor allem Carl Peters, der Kolonialpolitiker Nummer eins im Kaiserreich. Er, der aus einem Pastorenhaus stammte, hatte über Schopenhauer promoviert und später Deutsch-Ostafrika eingerichtet.
    Für die Kolonien gab es von Anfang an und bis zuletzt großes öffentliches Interesse, das sich aber mit keinem praktischen Bedürfnis verband. Es sind kaum Deutsche in die Kolonien umgezogen, die Lobby der Ideologen aus der Kolonialbeamtenschaft und der mit ihr verbundenen Forschung jedoch reichte aus, um das Thema am Leben zu halten.
    Die Kolonien verschwanden mit den Friedensverträgen von 1919, sie wurden von den Siegern übernommen. Das Interesse aber ist geblieben, es wächst und existiert bis heute. Es gibt einen Riesenberg an Literatur über das Thema, eine erstaunliche Bereitschaft zur Duldung und Aneignung einer Thematik, bei der man sich fragen muss, was für eine Funktion sie überhaupt hat. Gehört die Kolonialidee zur Summe der Sehnsüchte, zum diffusen Sehnsuchtspotenzial, ohne das wir Deutsche nicht auskommen? Durch sie entstanden Bilder einer politischen, ökonomischen oder kulturellen Phantasie. Die Kolonie ist im Kopf. Sie war es und sie ist es geblieben. Ein Utopie-Ersatz?
    Expeditionen waren letzten Endes auch Abenteuer. Je sicherer die Welt wurde, desto weniger Gelegenheit zur Aventüre gab es. Am Ende des 19. Jahrhunderts wurden immer größere Teile der Erde zu Lehrstoff erklärt, war das exotische Potenzial des Planeten weitgehend ausgeschöpft.
    Wer es ernst meinte, versuchte an den letzten geographischen Zipfel zu gelangen, das letzte unerreichte Ziel, denDie deutschen KolonienNordpol, was immer das auch war, zu besichtigen. Es begann haben stets mehr gekostet,bezeichnenderweise ein Wettlauf darum, wer als Erster das als sie einbringen konnten. ziej im ewigen Eis erreichen könnte. Mit diesen Pol-Expeditionen, mit ihrem Wettbewerbscharakter wird die Forschungsreise endgültig zur Performance. Wenn es bis dahin den Forschern darum gegangen war, etwas Unbekanntes kennenzulernen, es zu beschreiben und zu veranschaulichen und so der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, ging es jetzt zunehmend um die eigene Leistung, um die Stärkung des Ego. Man ging zwar auch bisher gelegentlich in Konkurrenz und ließ sich auch mal zum Wettlauf verleiten, wie bei den Nilquellen, aber es blieb bei immer noch sichtbaren Interessen und Aufträgen politischer oder handelspolitischer Natur.
    Um aber das Ego zu beflügeln, musste man keine Kolonialtruppen befehligen oder die Bahnhöfe der Usambara-Bahn in Ostafrika inspizieren. Auf der Pol-Expedition ging es ums Ganze, ums Überleben. Dort, im Niemandsland aus Eis, konnte man zum Kannibalen werden oder zum großen

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