Die deutsche Seele
Hugenottin, Bruder des Wilhelm von Humboldt, der die preußische Bildung auf modernen Kurs brachte.
Alexander von Humboldt hat sich in seiner Jugend, nach einem Studium der Kameralistik in Frankfurt an der Oder, das ihn für den preußischen Verwaltungsdienst vorbereiten sollte, zunächst einmal bei einschlägigen Studien und Aufträgen etwas ganz anderem, nämlich dem Bergbau und dessen organisatorischen Angelegenheiten, gewidmet. Er hat unter anderem aus eigenen Mitteln in Bad Stehen im Frankenwald die erste Arbeiter-Berufsschule in Deutschland ins Leben gerufen. Zum Schutz der Grubenarbeiter erfand er ein Atmungsgerät, den Vorläufer der Gasmaske, und verschiedene Sicherheitslampen.
Seine erste Forschungsreise von 1799 bis 1804 führt ihn nach Mittel- und Lateinamerika und endet mit einem Abschlussbesuch beim amerikanischen Präsidenten Thomas Jefferson. Humboldt finanziert diese Reise selbst und verbindet mit ihr den Anspruch, der nach ihm bald nicht mehr gegeben sein wird: alles an Wissen zu versammeln und in eine überschaubare Form zu bringen. Humboldt gelingt die geographische Ortsbestimmung des Casiquiare, der umstrittenen Gabelteilung des Orinoco. Er führt Höhenmessungen auf dem Chimborazo durch, den er bis auf 5759 Meter Höhe erklimmt. Das trägt ihm den damaligen Höhenrekord im Bergsteigen ein. Als Humboldt und sein Reisepartner Aime Bonpland am 3. August 1804 in Bordeaux mit vierzig Kisten eintreffen, haben sie auch 6300 bis dahin unbekannte Pflanzen dabei.
Die Auswertung der Reise dauert viele Jahre und ergibt, neben zahlreichen kleineren Publikationen, auch sein wohl populärstes Buch Ansichten der Natur, zwei Monumentalwerke, ein 36-bändiges Werk über die amerikanische Reise, Voyage aux regions equinoxiales du Nouveau Continent, und den Kosmos, ein Buch, das vor ein paar Jahren in einer Ausgabe der »Anderen Bibliothek« noch einmal das Interesse der deutschen Öffentlichkeit weckte. Der Grund scheint vor allem die Poesie zu sein, die von diesem Werk ausgeht, das einst eines der Wissenschaft gewesen ist und die ganze materielle Welt darstellen sollte. Das Überholte, das Geschichte Gewordene oder sonstwie ins Nutzlose Gekehrte geht unversehens in Erhabenheit auf. Die Patina der Wissenschaft wird zur Farbe der Ästhetik.
Humboldt aber, einer der Letzten seines Schlages, weltweit anerkannt und in verschiedenen Wissensgebieten bewandert, kurzum ein bekannter Mann, Humboldt ist der letzte der Erdbeschreiber. Bei ihm gehören Geographie, Geologie, Botanik und Zoologie noch zusammen. Seine Erkenntnisse sind noch am Gegenstand festzumachen, und der Gegenstand ist bei der Erkenntnis noch mit im Bild. Es geht ein letztes Mal um die Ansicht, um die Expedition, danach werden neue Dimensionen geschaffen. Labor und Experiment werden zu den großen Nachfolgebegriffen in Quantenphysik und Mikrobiologie. Mit ihnen verschwindet die Forschung aus dem öffentlichen Leben und aus der kollektiven Imagination. Ihre Erkenntnisse aber kehren als technische Erfindung in die Realität zurück. Die Menschen staunen über die Damen auf dem Hochrad, aber sie staunen nicht allzu lange.
Humboldt, der Kosmopolit, der die meiste Zeit seines Lebens nach der großen Reise in Paris verbrachte, blieb letzten Endes durch seinen Bruder Wilhelm und dessen Beziehungen zum preußischen Hof, für den er immer wieder auch diplomatisch tätig war, ein Preuße, wozu im Übrigen keine allzu großen Anstrengungen nötig waren. Man konnte Kosmopolit und Preuße sein.
Es handelte sich, so viel zur Erklärung, um eine aristokratische Betrachtung der Dinge des Lebens.
Die bürgerliche Welt hingegen, die sich im Entstehen befand und Zug um Zug den geistigen Horizont besetzte, versuchte nicht mehr alles in den Dienst der Weltdeutung zu stellen. Sie wird das meiste als Technik verstehen und die Forscher und Entdecker als Spezialisten.
Anders betrachtet aber nimmt die deutsche Forschungsreise zu diesem Zeitpunkt erst ihren offiziellen Anfang, bei dem sie allerdings auch schon zur Staatsangelegenheit wird. Es geht um die Afrika-Expeditionen. Sie werden erst mit dem Potenzial des Kaiserreichs finanzierbar und mit einem unmissverständlichen Auftrag von dessen Protagonisten geschmückt. Damit beginnt praktisch die Geschichte der deutschen Kolonien, eine der größten Fehlkalkulationen des Wilhelminismus.
Die Kolonialidee, mit dem Rohstoffbedürfnis begründet, war schlichtweg eine Dummheit. Als ob man Rohstoffe nicht kaufen könnte. Als ob sie
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