Die deutsche Seele
Schüler untereinander innerhalb der Stunde völlig aus.« Wirklich motivieren könne man die Jugend nur »auf dem Boden der Freiheit«. Liberalismus im Fußballtrikot.
Dass das neue Spiel ein ziemliches Gerumpel war, bei dem je nach Auffassung auch die Hände zum Einsatz kommen durften, war dabei unwichtig.
Der Wettkampfgedanke stand für Koch ohnehin nicht im Mittelpunkt. Zwar ging er bald dazu über, Spiele zwischen seinem Gymnasium und anderen Schulen der Umgebung zu organisieren, doch blieb er in dieser Hinsicht dem alten Turnergeist verpflichtet, bei dem es weniger ums Gegeneinander als ums Miteinander ging.
In einem anderen Punkt erwies sich Koch noch deutlicher als Nationalist: Auf deutschem Rasen sollte nicht englisch, sondern deutsch gesprochen werden. Der Deutschlehrer, der eng mit dem Schriftsteller Wilhelm Raabe befreundet war, verstand die Germanisierung der Fußballsprache als grundnotwendigen Schritt, um aus Football ein deutsches Spiel machen zu können. 1900, in dem Jahr, in dem sich der Deutsche Fußball-Bund gründete, schimpfte er in einem Aufsatz: »Jeder deutschfühlende Zuschauer kommt in Versuchung, einem solchen Bürschchen, wenn es von >Goal< und von >Kicken< spricht, handgreiflich darzutun, wie wenig sich das für einen deutschen Jungen passt.« Konsequenterweise veröffentlichte er nur drei Jahre später im Stile der barocken Sprachreiniger, die im 17. Jahrhundert das Deutsche von allen Fremdwörtern hatten befreien wollen, eine Liste mit achtzig einschlägigen Begriffen. Dieser verdanken wir es bis heute, dass wir - anders als Deutsch-Schweizer und Österreicher - nicht »offside!«, »corner!«, »penalty!«, »goal!« brüllen, sondern »Abseits!«, »Ecke!«, »Elfmeter!«, »Tor!«. Nicht einmal die sprachpuristischen Franzosen haben den Fußball so konsequent ins Eigene übertragen. Zwar musste der »Spielkaiser« im Laufe der Jahrzehnte dem »Spielführer« und schließlich dem quasi-englischen »Kapitän« weichen - aber ist er in Gestalt von »Kaiser Franz« nicht immer noch höchst präsent? Die Kochsche Liebe zum Deutschen ging so weit, dass er auch gegen populäre Vereinsnamen wie »Victoria«, »Tasmania« oder »Kickers« zu Felde zog und stattdessen »Wotan«, »Siegfried« oder »Hermann« empfahl.
Damit allerdings entstand die erste Front innerhalb der neuen »Spielbewegung«. Diesmal waren die Gegner keine altväterlichen Turner, die noch deutscher sein wollten als der »Spielkaiser«, sondern Kosmopoliten wie Walther Bensemann, der am Fußball vor allem den internationalen Geist schätzte, im Sport eine »Religion« sah, »vielleicht heute das einzige wahre Verbindungsmittel der Völker und Klassen«.
Kennen- und liebengelernt hatte der Sohn eines jüdischen Bankiers den Fußball während seiner Internatszeit in der französischen Schweiz. Als er 1889 zurück nach Deutschland kam, begann er noch als Schüler mit der fußballerischen Missionsarbeit an seinem Karlsruher Gymnasium. 1891 gründete er den Karlsruher FV, später die Karlsruher Kickers und zahlreiche weitere Mannschaften im süddeutschen Raum. Bei der Gründung des DFB war er gleichfalls dabei, allerdings gab es von Anfang an Spannungen zwischen ihm und den anderen Offiziellen, die mehrheitlich die deutsch-nationale Linie Konrad Kochs vertraten.
Auseinandersetzungen hatte es noch vor der DFB-Gründung um die ersten internationalen Fußballspiele mit deutscher Beteiligung gegeben: Bereits 1893 hatte Bensemann in Frankreich und England heftig dafür geworben, sich fußballerisch näherzukommen. Der Plan, ein deutsch-französisches Freundschaftsspiel ausgerechnet in Straßburg zu veranstalten, jener symbolträchtigen Stadt, die nach knapp zweihundert Jahren französischer Herrschaft seit 1871 zu Deutschland gehörte, scheiterte allerdings krachend. Schuld daran waren nicht nur deutsche Pickelhauben. Eine Pariser Zeitung stellte klar: »Wenn wir nach Straßburg kommen, werden wir mit unseren Kanonen kommen.«
Immerhin konnte 1898 in Paris das »Ur-Länderspiel« einer deutschen Auswahl gegen einen britisch-französischen Verein stattfinden. Das stolze Telegramm danach dürfte allerdings weniger im Bensemannschen Sinne gewesen sein: »Seiner Majestät dem deutschen Kaiser in Potsdam unterbreiten die Vertreter der maßgebenden Vereine des deutschen Fußballsports Berlin untertänigst die gehorsamste Mitteilung, dass heute in Paris zum ersten Mal eine aus allen deutschen Gauen zusammengesetzte
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