Die deutsche Seele
Fußballmannschaft über einen hervorragenden französischen Fußballverein einen Sieg von 7:0 Malen errungen hat.« (Mit welchen Worten der »Spielkaiser« dem Kaiser in Potsdam die 2:13-Niederlage im Ur-Länderspiel gegen England ein Jahr später vermeldet hat, ist leider nicht überliefert.)
Die beiden Gesichter, die den Fußball bis heute zum Weltfaszinosum machen, zeigten sich früh: National-Chauvinisten konnten in ihm die Verlängerung des Kriegs mit anderen Mitteln sehen. Für kosmopolitische Pazifisten stellte er das beste Mittel zur Völkerverständigung dar.
Nach dem Ersten Weltkrieg tat sich die national-chauvinistische Fraktion allerdings schwer damit, den Fußball für ihre Zwecke einzuspannen. Schuld daran dürfte zum einen gewesen sein, dass die verheerende Niederlage, festgeschrieben in den Versailler Verträgen, so tief schmerzte, dass symbolische Siege auf dem Rasen nur schwache Genugtuung verschafft hätten. Außerdem galt in der Weimarer Zeit die eingangs erwähnte launige Definition von Fußball, die der britische Stürmerstar Gary Lineker 1990 geliefert hatte, mitnichten: 23 Siege, 13 Unentschieden, 19 Niederlagen - so die eher durchwachsene Bilanz der Nationalmannschaft jener Zeit. Bereits beim ersten offiziellen Länderspiel 1908 gegen die Schweiz hatte sich die deutsche Elf mit einem 3:5 geschlagen geben müssen. Das erste Länderspiel nach dem Ersten Weltkrieg, wiederum gegen die Schweiz, ging mit 1:4 noch schlechter aus. Da vermochte nur wenig zu trösten, dass die Deutschen bei den Olympischen Spielen 1912 mit einem spektakulären 16:0 das vorrevolutionäre Russland vom Platz gefegt hatten.
Schuld am ausbleibenden Höhenflug war weniger, dass es keine auffälligen deutschen Spieler gegeben hätte: Adolf Jäger, Heiner Stuhlfauth, Ernst Kuzorra oder Fritz Szepan hätten in der Weimarer Zeit locker internationale Fußballkarrieren machen können. Nur versteifte sich der DFB darauf, das olympische Ideal des sportlichen Amateurs, dessen Leibeskunst durch Profitstreben entweiht würde, noch ernster zu nehmen als der Gründer der neuen Olympischen Spiele höchstpersönlich. 1920 etwa entließ der Westdeutsche Spielverband fast alle Spieler des späteren FC Schalke 04, weil die Kumpel zu ahnen begonnen hatten, dass in ihren Oberschenkeln/Waden/Fußspitzen mehr Kapital steckte als in den schmutzigen Kohleschächten, in die sie werktagsüber malochen gingen. »Den Professionalismus entlarven und auslöschen« nannte sich der Feldzug, den der DFB gegen den »Bezahlfußball« führte und der darin gipfelte, dass 1925 allen deutschen Amateurmannschaften verboten wurde, gegen ausländische Profimannschaften aus der Tschechoslowakei, Ungarn und Österreich zu spielen. Walther Bensemann, der mittlerweile das legendäre Fußballblatt Kicker gegründet hatte, wetterte dort gegen den »ungeheuerlichen«, »taktlosen« und »überheblichen« Beschluss: »Es wird sich herausstellen, dass die übergroße Majorität der FIFA-Verbände durchaus nicht gesonnen ist, am deutschen Sportwesen zu genesen.«
So sehr Bensemann die deutsche Borniertheit hasste - auch er war kein Fan davon, den Fußball den kalten Gesetzen des Marktes zu unterwerfen. Die vielen »linken« Fußballvereine, die sich in der Weimarer Zeit unter dem eigenen Dach des Arbeiter-Turn- und Sportbunds versammelt hatten und ihre Turniere am »bürgerlichen« DFB vorbei austrugen, erst recht nicht. Bei aller weltanschaulichen Zerstrittenheit: Darauf, dass der Fußball eine Kunst um der Kunst willen bleiben sollte, konnten sich die unterschiedlichsten Flügel der »Spielbewegung« einigen. Bis heute hallt diese urdeutsche Fußballauffassung nach, wenn etwa das Sport-Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung noch in den 1990er Jahren, als Fußball längst zum globalen Milliardengeschäft geworden war, Karl Marx aufbot, um seufzend festzustellen, dass die Fußballindustrie alle »idyllischen Verhältnisse zerstört« und »kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übrig gelassen« habe »als das nackte Interesse, als die gefühllose bare Zahlung«.
Dieser Sonderweg sorgte dafür, dass im deutschen Fußball deutlich länger als in anderen europäischen Ländern ein »Band« bestehen blieb: die Bindung des Spielers an seinen Heimatverein. Da die Fußballfunktionäre der Weimarer Zeit allenfalls im Verborgenen mit dem Geldbündel wedeln durften, um außergewöhnliche Spieler anzulocken, war der Gelsenkirchener/Kaiserslauterner/ Karlsruher
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