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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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Stürmer/Verteidiger/Torwart einigermaßen fest mit seiner Scholle verwachsen. Bis 1963 sollte es dauern, dass Deutschland seine Bundesliga bekam - zuvor spielte man in den regionalen Verbänden, und erst am Schluss einer jeden Saison traten die besten Vereine im K.o.-Verfahren gegeneinander an, um den deutschen Meister zu ermitteln.
    Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, war Fußball so selbstverständlich zu einem »deutschen Sport« geworden, dass sie auch ihn gleichschalteten - indem sie etwa die Arbeiterfußballvereine auflösten und jüdischen Fußballern wie Julius Hirsch oder Gottfried Fuchs - der beim 16:0 gegen Russland sagenhafte zehn Tore geschossen hatte - das Leben zur mörderischen Hölle machten. Erfolgreicher wurde der deutsche Fußball unter dem braunen Regime nicht. Zwar war das Reich bei der Weltmeisterschaft 1934 in Italien überraschend auf dem dritten Platz gelandet (an der ersten WM 1930 in Uruguay hatte es aufgrund der Wirtschaftskrise und der weiten Anreise nicht teilgenommen), bei den Olympischen Spielen in Berlin hingegen musste es sich im Viertelfinale dem »Fußballzwerg« Norwegen geschlagen geben. 1938, nach dem »Anschluss«, flammte der Traum von der fußballerischen Großmacht kurz auf: Gemeinsam mit dem »österreichischen Wunderteam«, das von 1931 bis 1933 alle anderen europäischen Spitzenmannschaften (und die Deutschen) das Fürchten gelehrt hatte, wollte man in Frankreich Weltmeister werden. Am 9. Juni schied die »großdeutsche Mannschaft« im Achtelfinale gegen die Schweiz aus.
    Der blutige Größenwahn der Nationalsozialisten, die Welt in ein Schlachtfeld zu verwandeln, sorgte dafür, dass weder 1942 noch 1946 Fußballweltmeisterschaften ausgetragen wurden - und dafür, dass die Deutschen an der ersten WM nach dem Zweiten Weltkrieg 1950 in Brasilien nicht teilnehmen durften. Am 22. November desselben Jahres waren es abermals die Schweizer, die bereit waren, sich als erste Mannschaft mit den Deutschen, die sich so tief ins Menschheits-Abseits verrannt hatten, wieder auf einem Rasen zu bewegen. Die (West-) Deutschen gewannen mit einem bescheidenen 1:0. Niemand konnte ahnen, dass knapp vier Jahre danach die Bundesrepublik ihre eigentliche Geburt aus dem Geiste des Fußballs erleben sollte.
    Als die späteren »Helden von Bern« mit ihrem Trainer Sepp Herberger im Juni 1954 in die Schweiz aufbrachen, um am beschaulichen Thuner See, an dem 150 Jahre zuvor Heinrich von Kleist seine ersten Dramen geschrieben hatte, Quartier zu beziehen, interessierte das im zerstörten Deutschland lediglich die wirklich Fußballvernarrten. Die Erregungskurve stieg erst an, nachdem die Deutschen, die in ihrem ersten Spiel die Türken mit einem fleißigen 4:1 besiegt hatten, dem WM-Favoriten Ungarn mit 3:8 unterlagen. Von »nationaler Schande« war die Rede. Trainer Herberger, der - wie er später erklären konnte - in voller taktischer Absicht eine B-Mannschaft auf den Rasen geschickt hatte, bekam Briefe, in denen ihm u. a. empfohlen wurde, sich einen Strick zu kaufen und sich am nächsten Baum aufzuhängen, »aber möglichst so, dass der Strick nicht zerreißt, damit man diesen hinterher noch verwenden kann«. In diesem Augenblick hörte die Fußballweltmeisterschaft 1954 - zumindest im deutschen Bewusstsein - auf, eine reine Sportveranstaltung zu sein, und wurde zum Drama, das Heinrich von Kleist hätte geschrieben haben können.
    Der geschmähte Trainer liest die Hasspost aus der Heimat seinen Spielern vor. Jetzt wollen, jetzt müssen sie siegen, für ihn, für ihren Sepp, für die Ehre. Elf Freunde müsst ihr sein, wenn ihr Siege wollt erringen … Der »Geist von Spiez« erhebt sein mythisches Haupt. Der stürmisch-empfindsame Helmut Rahn, der aus Enttäuschung darüber, beim Türkeispiel auf der Bank gesessen zu haben, sich des Nachts aus seinem Zimmer gestohlen und betrunken hat, wird seinem Trainer beweisen, dass er alles kann, wenn dieser nur an ihn glaubt. Doch noch darf er nicht schießen, beim entscheidenden zweiten Spiel gegen die Türkei ist er wieder nicht dabei. Diesmal gelingt es ihm, seine Wut zu bändigen. Deutschland hat 7:2 gewonnen, das ist alles, was zählt. Seine Stunde wird kommen, kommt, im Viertelfinale gegen Jugoslawien, schweres Spiel, quälendes Spiel, aber er ist dabei. Knappe Führung, der Trainer fragt, »Helmut, wo bleibt das Tor, das du mir versprochen hast?«, es wird kommen, da ist es, 85. Minute, 2:0 für Deutschland, jetzt ist alles möglich. Sogar

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