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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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sind, so todessehnsüchtig die Gedichte eines Novalis oder Joseph von Eichendorff, so unheimlich die Erzählungen eines E.T.A. Hoffmann, so herzenstraurig die Lieder eines Franz Schubert oder Robert Schumann - aus all diesen Werken spricht keine grelle Angst. Die Ahnung, dass alles ganz anders sein könnte, als es scheint, und morgen ohnehin vorbei, lud zum Träumen ein.
    Der erste Verkünder des heraufziehenden nervösen Zeitalters war Georg Büchner. Blickt man auf seine Lebensdaten, war der 1813 geborene und bereits 1837 verstorbene Schriftsteller in der Spätromantik, im Biedermeier und Vormärz daheim. Doch die Hausnummern trügen. Zwar träumte der politische Autor Büchner vom Frieden, den er den Hütten, und vom Krieg, den er den Palästen wünschte, damit Deutschland, das »jetzt ein Leichenfeld« sei, bald »ein Paradies« würde. Als Dichter erzählte er jedoch mitnichten vom sozialistischen Eden, das unmittelbar bevorstünde, sondern von der existenziellen Verlorenheit des Menschen. Sein geschundener, von Angstvisionen geplagter Soldat Woyzeck hetzt »wie ein offnes Rasiermesser durch die Welt« und findet dennoch nirgends Zuflucht: »Wenn die Sonn in Mittag steht und es ist als ging die Welt im Feuer auf, hat schon eine fürchterliche Stimme zu mir geredt!« Hinter ihm, unter ihm, überall lauert die Gefahr. Jahrzehnte bevor Sigmund Freud begann, die Fallgeschichten von Paranoikern und Schizophrenen zu analysieren, freut sich der sadistische Doktor in Büchners Drama über die schöne »aberratio mentalis partialis«, die sein Versuchskaninchen Woyzeck ausgebildet hat. Die Welt als Hölle und Wahnvorstellung.
    Auch die Geschichtsphilosophie nahm im Laufe des 19. Jahrhunderts nach und nach Abschied davon, Sinn- und Trostlieferantin zu sein. Arthur Schopenhauer sah, wohin er blickte, nichts als blindwütigen Willen am Werk, dem sich allenfalls Einzelne durch Kontemplation und Meditation zu entziehen vermochten. Friedrich Nietzsche entdeckte in der Geschichte die »ewige Wiederkehr« - es sollte ihn übermenschliche Anstrengungen kosten, vor dem endlos rollenden »Rad des Seins« nicht zu fliehen, sondern sich heiter darauf flechten zu lassen. Die letzte mächtige Bastion des (deutschen) Geschichtsoptimismus errichteten Karl Marx und Friedrich Engels, indem sie dem Proletarier die Weltrevolution in Aussicht stellten. Fürchten sollte sich bei ihnen nur der Kapitalist, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch in Deutschland mit frischem Mut daranging, Mensch und Natur seinen stählernen Produktionsabläufen zu unterwerfen.
    Das Unbehagen an der rasanten Geschwindigkeit, mit der Deutschland den technologischen und industriellen Rückstand aufholte, den es im Vergleich zu europäischen Ländern wie England oder Frankreich hatte, befiel nicht nur Kommunisten. Wem jedoch der Glaube fehlte, alles werde gut, sobald die klassenlose Gesellschaft durchgesetzt sei, fühlte sich mit seinem Unbehagen alleingelassen. In der Entfremdung von der Natur hat die »german angst« ihre tiefste Quelle. Bis heute suchen die alten germanischen Waldgeister den Deutschen in seinen Albträumen heim, als wollten sie sich dafür rächen, dass er sie einst aus ihren heiligen Hainen vertrieben hat. Der germanische Sündenfall beginnt nicht damit, dass Eva in den Apfel beißt, sondern damit, dass Adam das Beil hebt, um den ersten Stamm zu spalten und sich und Eva ein Haus zu bauen. Es mag der Aufklärung gelungen sein, den Deutschen die Angst vor der Erkenntnis zu nehmen, die Angst davor, auf eigene Faust zu denken. Die Angst vor dem, was Faust mit seiner Erkenntnis anstellt, ist in der späten Neuzeit gewachsen. Und wo es keinen Gott mehr gibt, den man um Vergebung für seine Schuld anflehen könnte, bleibt nur die ängstliche Frage an den Ingenieur, ob das Teufelszeug, das er in Wald und Flur hinstellt, auch wirklich »sicher« ist. Oder der Versuch, die eigene Existenz durch konsequente »Lebensreform« wieder mit der Natur zu versöhnen.
    Solche Bestrebungen sind kein Kind des bundesrepublikanischen Ökoko, weit konsequenter gab es sie im Kaiserreich und in den angrenzenden deutschsprachigen Gebieten. Mit Naturheilkunde, Vollwertkost, Freikörperkultur und Bewegung an der frischen Luft versuchten nicht nur die Mitglieder esoterischer Landkommunen wie der »Vegetarischen Obstbau-Kolonie Eden« der Umklammerung von Technik und Großstadt zu entkommen und ihr Leben auf den Naturlehrpfad zurückzulenken. Auch Franz Kafka

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