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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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zu verdammen. Ihm ging es darum, in der Welt, wie sie war, das Bewusstsein zu retten, dass trotz aller medizinischen und sonstigen Möglichkeiten das menschliche Dasein nach wie vor ein »Sein zum Tode« bleibt, und dass dieses »Sein zum Tode wesenhaft Angst« ist. Indem das »Man« aber »den Mut zur Angst vor dem Tode nicht aufkommen« lässt, besorgt es »die Umkehrung dieser Angst in eine Furcht vor einem ankommenden Ereignis«.
    Noch triftiger als für die Weimarer Zeit, in der Heidegger seine erste große Angst-Analyse schrieb, ist diese heute. Denn liegt das besonders Unangenehme an den bundesrepublikanischen Hysteriewogen vom »Atomtod« über das »Waldsterben« bis zur »Klimakatastrophe« nicht gerade darin, dass »man« ständig davon überzeugt ist, das Ende der Welt nahen zu sehen - aber gleichzeitig ebenso fest davon überzeugt scheint, die eigene Sterblichkeit austricksen zu können, wenn »man« sich nur laut genug von den Sündern distanziert, die das Unheil zu verantworten hätten?
    Sein und Zeit ist weit davon entfernt, ein Büchlein der Lebensweisheit zu sein. Dennoch ließe sich mit Heidegger als Imperativ formulieren: Spüre, dass du - trotz Nichtrauchen, Ökokost und Ausdauersport - sterblich bist, dann brauchst du nicht mehr so viel Energie darauf zu verschwenden, dich heute vor der Schweinepest und morgen vor der Vogelgrippe zu fürchten!
    Die anschwellende Furcht im technischen Zeitalter beschäftigte auch den Schriftsteller Ernst Jünger. Als junger Soldat war er in den Ersten Weltkrieg gezogen, um das Abenteuer zu suchen. Mehrfach verwundet überlebte er die Stahlgewitter an der Westfront, musste jedoch erkennen, dass »freier Wille, Bildung, Begeisterung und der Rausch der Todesverachtung« allein nicht ausreichten, um »die Schwerkraft der wenigen hundert Meter zu überwinden, auf denen der Zauber des mechanischen Todes« regierte.
    Anders als die Pazifisten zog Jünger daraus nicht den Schluss, dass Kriege künftig unführbar geworden seien, sondern versuchte, die Materialschlacht, die er in den französischen und flandrischen Schützengräben kennengelernt hatte, aufs zivile Leben auszuweiten. Er begrüßte die »Zwanzigjährige[n], mit hartem, von Tatsächlichkeiten gehämmertem Gesicht, denen der Schwung der Schnellbahnen, das Tempo der Fabrik, Gedichte aus Stahl und Eisenbeton das selbstverständlichste Erlebnis ihrer Kindheit gewesen sind«, weshalb sie »an Steigerung des Lebens durch die Maschine gewöhnt« seien.
    Erst nach dem Zweiten Weltkrieg verabschiedete sich Jünger vom heroischen Realismus, dessen unerschrockener Arbeiter-Krieger keinen Unterschied mehr kennt zwischen Mensch und Material. Zum Freund des Bundesbürgers, der schon bei der morgendlichen Zeitungslektüre blinzelnd nach dem nächsten Desaster Ausschau hält, wurde der Schriftsteller dennoch nie. Mit kühler Klarsicht - die den meisten seiner früheren Texte abging - führte Jünger 1951 in seinem Essay Der Waldgang die permanente Hysteriebereitschaft auf den Verlust der Freiheit zurück. Der Einzelne gleiche »dem Passagier in einem sich schnell bewegenden Fahrzeug, das >Titanic< oder das auch Leviathan heißen kann. Solange das Wetter gut ist und die Aussicht angenehm, wird er den Zustand minderer Freiheit kaum gewahren, in den er geraten ist. Es tritt im Gegenteil ein Optimismus auf, ein Machtbewusstsein, das die Geschwindigkeit erzeugt. Das wird dann anders, wenn feuerspeiende Inseln und Eisberge auftauchen.« Dann schlägt die Hybris in Panik um, der Einzelne wird sich seiner verdrängten Hilflosigkeit und Ohnmacht jäh bewusst.
    Da der gelassenere Jünger aus dieser Diagnose weder den Schluss ziehen wollte, dass sich der Passagier einfach als Schiffskolben verstehen müsse, noch den, gar nicht erst an Bord der »Titanic« zu gehen, konnte er als die »eigentliche Frage unserer Existenz« erkennen: »Wäre es […] möglich, zugleich auf dem Schiff zu verbleiben und sich die eigene Entscheidung vorzubehalten?« Wäre es möglich, »die Furcht zu vermindern, während der Automatismus fortbesteht«?
    Empfehlung Nummer eins lautet, die »Welt der Krankenkassen, Versicherungen, pharmazeutischen Fabriken und Spezialisten« nicht gänzlich zu meiden - aber dennoch einen gesunden Abstand zu ihr zu wahren. Vitalität, innere Fülle entstehen nicht, indem man alle paar Monate zur nächsten Vorsorgeuntersuchung rennt und noch eine Lebensversicherung abschließt, sondern indem man sich wieder daran erinnert, »was

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