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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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Siegfried oder der furchtlose Taugenichts aus dem Grimmschen Märchen hätte keine Angst gehabt, von marodierenden Landsknechten erstochen, erschlagen, verbrannt, vergewaltigt oder von Hunger und Seuchen dahingerafft zu werden. Wer sich damals nicht fürchtete, war abgestumpft, ent- oder verrückt. Dieser Krieg hinterließ indes ein Angsttrauma in Deutschland, das mit seiner Brutalität und Dauer allein nicht zu erklären ist. Vordergründig war er darum geführt worden, ob Deutschland ein katholisches oder protestantisches Land sein sollte. Letztlich war er jedoch ein Gemetzel gewesen, das sich, je länger es dauerte, immer weiter von allen rational formulierbaren Kriegszielen entfernte. Oder, wie es der Kulturhistoriker Egon Friedell zusammenfasste: Es entstand »das schauerlich-groteske Monstrum dieses bestialischen, blindwütigen, endlosen und prinzipienlosen Krieges […], der ein Menschenalter lang fraß, um zu fressen, und nicht begreifen lässt, warum er anfing, warum er aufhörte und warum er überhaupt auf der Welt war«.
    Wer einen solch absurden Krieg überlebt hatte, der war bereit, dem Schicksal jederzeit das Schlimmste zuzutrauen. Doch nicht alle in Deutschland verfielen der Melancholie, die Gryphius seine weltverhangenen Gedichte und Dramen schreiben ließ. Andere gaben sich dem Hochgefühl des »Hurra, wir leben noch!« hin und gingen daran, ihre Barock-Schlösschen und -Kirchen aufs Goldigste zu verschnörkeln. Die Pietisten wiederum waren zwar wie Luther davon überzeugt, dass alle Menschen Sünder seien und ihnen - wenn sie sich nicht grundlegend änderten - die ewige Verdammnis gewiss sei, aber anders als der Reformator glaubten sie, einen verlässlichen Weg zum Seelenheil gefunden zu haben: Tief empfundene Reue, echter »Bußkampf« führten bei ihnen zum Erlebnis der »Wiedergeburt«, die es dem Gläubigen erlauben sollte, durch konsequente Frömmigkeit, Arbeit und Bescheidenheit in die »Fußstapfen des lebendigen Gottes« zu treten. Erlösung ereigne sich nicht nur in einer fernen Vergangenheit oder Zukunft, sondern im Hier und Jetzt. Die Heilsunsicherheit, die den Lutheraner gequält hatte, war deutlich gemildert.
    Insgesamt schien die Angst im Deutschland des 18. und 19. Jahrhunderts eine Atempause einzulegen - d. h. sie hörte vorübergehend auf, eine existenzielle Befindlichkeit zu sein, die es aller Welt mitzuteilen galt. Wer immer noch von Angstträumen gepeinigt wurde, behielt sie für sich oder suchte nach (rationalen) Strategien, sie zu bekämpfen. Der Aufstieg der Naturwissenschaften nährte die Hoffnung, den Schlägen der Natur künftig weniger schutzlos ausgeliefert zu sein. Der Bildungsoptimismus der Aufklärer sah im Menschen keine Bestie, sondern ein formbares Wesen, das sich bei richtiger Anleitung zum Wahren, Schönen und Guten erziehen ließ. Wenn Johann Wolfgang von Goethe seinen Faust auf teuflische Abwege schickt, lädt dieser zwar manchen Tadel auf sich - aber keine Furcht. (Einzig das Gretchen wird von finster-schwülen Ahnungen geplagt, bis es ihr am Schluss vor ihrem Heinrich - aus gutem Grund - graut.)
    In der Philosophie machte sich die rabiate Zuversicht eines Georg Wilhelm Friedrich Hegel breit, der überzeugt war, dass Geschichte kein richtungsloses Chaos sei, sondern sich in ihr der »Weltgeist« realisiere, der zur allgemeinen Beruhigung auch noch »vernünftig« sei. Nur kurzsichtige Laien mochten darüber klagen, wenn die »welthistorischen Individuen«, die jener Weltgeist als seine Geschäftsführer eingesetzt hatte, auf ihrem Marsch »manche unschuldige Blume zertreten, manches zertrümmern« mussten. Mit Blick auf die reale politischhistorische Situation zu Hegels Zeit hieß dies: Die jüngsten Kriege von und gegen Napoleon waren kein sinnloses Blutvergießen, im Gegenteil - in ihnen war der Weltgeist seiner finalen Verwirklichung abermals einen großen Schritt näher gekommen. Der postnapoleonische preußische Staat mochte vielleicht noch nicht die bestmögliche aller Welten sein - für die beste aller bislang erreichten hielt ihn der schwäbische Wahlpreuße Hegel schon.
    In den Glauben, dass es mit der Menschheit unaufhaltsam aufwärts gehe, träufelte die Romantik ihre Wermutstropfen. Aber auch diese Künstler vertieften sich in die Abgründe, Dunkelheiten, Nachtseiten der Welt nicht, um dort das Fürchten zu lernen, sondern im Gegenteil: weil sie dort das wahre, das intensivere Leben witterten. So düster die Gemälde eines Caspar David Friedrich

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