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Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch

Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch

Titel: Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Großbongardt
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Elbing und Königsberg. Danzig, das sich den neuen Machthabern zunächst widersetzte, wurde 1308 zerstört – und stieg nach dem Wiederaufbau
zum wichtigsten Handelsplatz der Region auf. Ihren Erfolg verdankten die preußischen Städte dem massenhaften Export von Getreide, Holz, Teer und Asche. Aber sie handelten auch mit Luxusartikeln, etwa ungarischem Kupfer, das sie im fernen Krakau erwarben, oder Bernstein, auf das der Orden ein Monopol besaß.
    So erlebte die Ostseeregion im 13. und 14. Jahrhundert mit ihrem feinmaschigen Netz an jungen Städten einen regelrechten Wirtschaftsboom: Großkaufleute, die schon lange nicht mehr selbst auf Reisen gingen, investierten in mehrere Handelsgesellschaften und minimierten so das Geschäftsrisiko. Kreditgeschäfte nahmen zu – und die Bereitschaft zum Wagnis. Manche Händler verspekulierten sich oder erwarben mangelhafte Ware, etwa Wachs, das russische Händler mit Harz und Fetten gestreckt hatten. Andere gingen derart exzessiv auf Einkaufstour, dass sie ungewollt selbst den Marktpreis drückten. »Man will für den Rakelfisch keine 28 Gulden geben«, klagte Sivert Veckinchusen 1418 in einem Brief an seinen Bruder und Teilhaber Hildebrand. Auch die Pelze werde er nicht los, Hildebrand habe zu teuer eingekauft. »Ich war mein Lebtag noch nie so in Geldsachen bedrängt.« Während Sivert seine Probleme in den Griff bekam, sollte sein Bruder den Lebensabend im Schuldenturm verbringen. Solche Abstürze schreckten kaum ab, zu verlockend waren die Geschäfte: Salz aus Lüneburg, Wein aus Köln, Flachs aus Riga – die Hanse profitierte von ihrer Rolle als Mittlerin zwischen Ost und West. 1368 registrierte allein der Lübecker Hafen 406 Fahrten zwischen der Hansestadt, Livland und Preußen.
    Ohne Druck und Selbstdisziplin wäre das Wirtschaftswunder an der Ostsee nicht möglich gewesen. Ihren Mitgliedern legte die Hanse zuweilen ein enges Korsett an Regeln an. Nach außen setzte sie durch, »dass niemand in den Genuss
der Privilegien und Freiheiten der Deutschen kommen soll«, der nicht zur Hanse gehöre. Gleich mehrmals verhängte sie Boykotte, selbst gegen Nowgorod und Brügge, und riskierte im Kampf um ihre Vorrechte sogar kräftige Einbußen.
    Selbst vor Krieg als letztem Mittel der Wirtschaftspolitik schreckte das Städtebündnis nicht zurück. So lieferte sich die Hanse zwischen 1362 und 1368 mehrere erbitterte Schlachten mit dem Dänenkönig Waldemar IV. Der hatte es gewagt, auf der Halbinsel Schonen, dem zentralen Umschlagsort für Heringe, die Abgaben zu erhöhen sowie die Hansestadt Visby zu besetzen. Unbeeindruckt von einer krachenden Niederlage in Hälsingborg, gewann die Hanse schließlich langfristig die Auseinandersetzung. Im Frieden von Stralsund musste Waldemar 1370 einigen demütigenden Bedingungen zustimmen. Die Kaufleute erhielten ihre Handelsfreiheit und die alten Privilegien in Schonen und Visby zurück. Für 15 Jahre durfte die Hanse zudem die dänischen Festungen am Öresund besetzen und konnte sogar bei einem möglichen Thronwechsel mitentscheiden. Kaufleute zwangen einen König in die Knie: Mit dem spektakulären Frieden stieg das Städtebündnis zu einer nichtstaatlichen Großmacht auf. Doch diese Blüte währte nicht lange: Schon im 15. Jahrhundert musste die Hanse ihre Interessen immer häufiger mit Handelssperren oder Waffengewalt sichern. Dennoch erlitt sie empfindliche Niederlagen und konnte etwa die aufstrebenden Holländer nicht aus der Ostsee verdrängen. Die fuhren über die Flüsse ins Binnenland, um dort Handel zu treiben, und umgingen so die deutschen Zwischenhändler in den Hansestädten.
    Zudem weckte die aggressive Wirtschaftspolitik nicht nur die Missgunst von Fürsten und Königen. »Sie werden dabei reich, und wir verderben«, klagte ein Kaufmann aus Thorn über die ständigen Kriege mit Dänemark. Alleinigen
Nutzen hätten Städte wie Lübeck und Hamburg, weil der Handel nach Flandern weiterlaufe. Mit jedem neuen Mitglied nahmen solche internen Spannungen zwischen Ost und West zu. Die Größe der Hanse gefährdete zunehmend die alte Erfolgsformel: das geschlossene Auftreten im Ausland – trotz oft völlig unterschiedlicher Interessen. So hieß Danzig britische Händler willkommen, obwohl die Hanse die Engländer sonst mit aller Macht aus der Ostsee fernzuhalten versuchte. Die livländischen und die preußischen Städte wiederum waren an einer direkten Handelsroute nach England interessiert – auf Kosten von Lübeck als

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