Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch
Umschlagsplatz. Rostock und Wismar unterstützten für die Interessen ihres ehrgeizigen Mecklenburger Herzogs sogar die Kaperfahrten von Seeräubern und schadeten damit jahrelang dem Handel.
Als Iwan III. im Jahr 1494 zu seinem Schlag gegen das Kontor in Nowgorod ausholte, hatte der Niedergang der Hanse also bereits begonnen. Dennoch brach der Gewaltakt nicht sofort die Vormacht der deutschen Händler im Osten. Für eine Weile übernahmen Dorpat, Reval und Riga die Rolle Nowgorods. Geschickt zwangen sie auswärtige Kaufleute, nur bei livländischen Zwischenhändlern einzukaufen oder zu verkaufen.
Der Aufschwung hielt nicht lange. Dann vollendete Iwan IV., genannt der Schreckliche, das Werk seines Großvaters. 1558 eroberte er Livland und legte Dorpat in Trümmer. Riga und Reval konnten sich halten, erhielten jedoch so gut wie keine Hilfe der Hanse. Damit endete die einst so lukrative Kooperation im Osten endgültig. Reval suchte sich nun Schweden als Schutzmacht und befand sich bald im Krieg. 1559 attackierte ein feindliches Geschwader den Revaler Hafen, beschlagnahmte und vernichtete rund hundert Schiffe. Der Angreifer war ein alter Bekannter – Lübeck.
TEIL II
FREMDE, FREUNDE, NACHBARN
Der Hunger der Monarchen
Über Gebietsgewinne im Osten stieg Preußen zur Großmacht auf: Erst holte Friedrich II. Schlesien, dann nahmen sich die preußischen Könige Polen – wie eine Artischocke, »Blatt für Blatt«.
Von Christoph Gunkel
Die mächtige Festung aus rotem Backstein galt als uneinnehmbar. Geschützt von der Nogat, einem Mündungsarm der Weichsel, befestigt mit dicken Mauern und hohen Türmen, hatte 150 Jahre lang kein Gegner die Marienburg erstürmen können. Die Wehranlage, etwa 50 Kilometer südöstlich von Danzig, war Sitz des Deutschen Ordens, ein Symbol seiner großen Macht. Doch jetzt, im Juni 1457, fiel diese Trutzburg ohne einen einzigen Schuss. Bereits seit drei Jahren tobte ein Bürgerkrieg im preußischen Ordensland, der das Schicksal der Deutschen im Osten langfristig verändern sollte. 53 Adlige und 19 Städte hatten sich zu einer Interessengemeinschaft, dem Preußischen Bund, zusammengeschlossen. 1454 hatte diese Allianz dem Deutschen Orden den Krieg erklärt und Hilfe vom polnischen König erhalten. Die Aufständischen forderten mehr Autonomie und weniger Steuern. Zu dieser Zeit war der Orden nicht nur militärisch bereits geschwächt, er war auch nahezu pleite. Im Krieg gegen den Preußischen Bund konnte er seine Söldner nicht mehr bezahlen. In letzter Not verpfändete er die prächtige Marienburg an die murrenden Legionäre. Die verkauften sie kurzerhand an den polnischen König, als sie auch weiterhin keinen Sold bekamen.
Kampflos musste der Hochmeister 1457 zusehen, wie der polnische Monarch dort einzog.
Nach dieser Demütigung kämpfte der Orden um sein Überleben. Zermürbt nach 13 Jahren Krieg, rettete er im Zweiten Frieden von Thorn nur noch einen Rumpfstaat: den östlichen Teil mit Königsberg als Zentrum. Der westliche Teil Preußens mit Pommerellen, dem Ermland und den Hansestädten Danzig, Elbing und Thorn fiel dagegen als »Preußen königlichen Anteils« an das Königreich Polen. Die Städte erhielten eine weitgehende Autonomie. Der Hochmeister musste dem polnischen Herrscher aber einen Treueid leisten. Die radikale Neuordnung sollte »Frieden und Eintracht« sowie eine »feste und beständige Ordnung« garan-tieren.Doch langfristig erreichte der Vertrag von Thorn eher das Gegenteil – und schuf ungewollt die Bedingungen für ein jahrhundertelanges Ringen zwischen Deutschen, Russen und Polen um die Vormacht in Nordosteuropa.
Die Marienburg vor den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs (1928)
1511 ergab sich für die Hohenzollern plötzlich die Gelegenheit, ihren Einfluss über die Grenzen des Reiches hinaus nach Preußen zu erweitern: In jenem Jahr wurde Albrecht von Brandenburg-Ansbach, ein Mann aus einer Nebenlinie des Hauses Hohenzollern, zum Hochmeister des Deutschen Ordens ernannt. Und der Neuling plante gleich eine Kulturrevolution: Albrecht wollte die Reformation nutzen, um aus dem 300 Jahre lang religiös geführten Ordensreich einen weltlich regierten, protestantischen Musterstaat zu machen. Das beriet er sogar mit Martin Luther persönlich.
Nach geheimen Absprachen mit seinem Onkel, dem polnischen König Zygmunt I., wagte der Hohenzoller den radikalen Schritt – und schrieb Weltgeschichte: 1525 trat er als Hochmeister zurück und schuf das erste protestantische
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