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Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch

Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch

Titel: Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Großbongardt
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Invasion löste einen Flächenbrand aus. Bayern, Frankreich und Sachsen schlossen sich Preußen an, um die Habsburgermonarchie zu schwächen. Schon 1742 musste die österreichische Königin Maria Theresia einem ersten Frieden zustimmen: Preußen behielt Schlesien. Wenig später versuchte sie mit neuen Verbündeten, die Provinz zurückzugewinnen, doch nach erbitterten Kämpfen siegte erneut ihr Widersacher.
    Damit war dem König ein spektakulärer Coup gelungen, der eine Welle der patriotischen Begeisterung entfachte. »Friedrich der Große«, wie er nun genannt wurde, annektierte eine erzreiche, prosperierende, frühindustrialisierte Region und vergrößerte Preußen damit um ein Drittel seines Gebietes. Zügig machte er die Neuerwerbung zu einer straff verwalteten Musterprovinz, die dem preußischen Staat, so der Schlesien-Experte Norbert Conrads, hohe Erträge einbrachte. Doch die neuen Steuerzahler profitierten auch von dem aufklärerischen Geist Preußens und seinen Reformen. Sie brachten ihnen beispielsweise ein entwickeltes Rechtswesen und eine Politik, die systematisch Handel und Industrie förderte.
    So entwickelten sich dank staatlicher Gelder die schlesischen Eisen- und Hüttenwerke zu den modernsten in ganz Deutschland. Die Produktion boomte und stieg zwischen 1780 und 1800 um ganze 500 Prozent. Schlesien wurde zur Waffenschmiede Preußens. Nicht unwichtig für ein Land, das sich auf dem Schlachtfeld zur Großmacht aufgeschwungen hatte.
    Die Eroberung Schlesiens barg jedoch auch unkalkulierbare Gefahren. Maria Theresia schwor Rache für den »dreisten Raub des bösen Mannes« und tat fortan alles, um Preußen auf den Rang einer Regionalmacht zurückzustufen. Der Krieg, den Friedrich 1740 entfesselt hatte, mündete schon
16 Jahre später in ein Massensterben. Frankreich, Österreich und Russland schlossen ein Bündnis. Preußen sah sich eingekreist – und musste plötzlich um sein Überleben kämpfen. Da schlug Friedrich erneut ohne Vorwarnung zu. Im Herbst 1756 eroberte er Sachsen und sicherte damit Berlin und Brandenburg ab. Doch nur ein Jahr später sah sich der Preußenkönig bei der schlesischen Stadt Leuthen einer gewaltigen Übermacht von 65 000 österreichischen Soldaten gegenüber. Rückzug kam für ihn nicht in Frage. Er werde »gegen alle Regeln der Kunst« die zahlenmäßig weit überlegene Armee des Gegners angreifen, rief Friedrich seinen Generälen zu, sonst sei »alles verloren!« Und das Wunder gelang. Friedrich brillierte erneut als moderner Feldherr und verwirrte die Österreicher mit Scheinangriffen, ungewohnten Stellungswechseln der Artillerie und nach hinten versetzten Einheiten. 27 000 österreichische Soldaten wurden verwundet, starben oder gerieten in Gefangenschaft – viermal mehr als auf preußischer Seite.

    Trotz solch erstaunlicher Siege geriet Friedrich in den nächsten Kriegsjahren immer mehr in die Defensive. Bei Kunersdorf östlich von Frankfurt an der Oder kassierte er eine katastrophale Niederlage und entkam nur knapp der Gefangenschaft. Angeblich verdankte er sein Leben allein einer Tabakdose, in der eine feindliche Kugel steckenblieb. »Um nicht zu lügen«, schrieb der König erschüttert an seinen Staatsminister in Berlin, »ich halte alles für verloren.« Geplagt von Selbstmordgedanken, rettete ihn bloß das lange Zögern der Sieger. Die russische Zarin Elisabeth starb, und ihr Nachfolger Peter III. war ein glühender Bewunderer Friedrichs und schloss mit ihm Frieden. Friedrich sprach vom »Mirakel des Hauses Brandenburg« und feierte wenige Jahre später seinen größten außenpolitischen Erfolg.
    Denn 1772 konnten sich die Hohenzollern ihren alten Traum erfüllen: Sie vereinten das noch zu Polen gehörende Westpreußen mit Ostpreußen und verfügten damit erstmals über einen zusammenhängenden Staat. Die Teilung Preußens, 1466 in Thorn beschlossen, war überwunden. Doch der Gebietsgewinn fußte auf einem drastischen Rechtsbruch: Die zuvor erbitterten Feinde Österreich, Russland und Preußen nutzten die Schwäche des von Unruhen erschütterten Polens gnadenlos aus. Auf dem Reißbrett teilten sie mehr als ein Drittel des Landes einfach unter sich auf.
    Zynisch hatte Friedrich Polen mit einer Artischocke verglichen, die man »Blatt für Blatt essen muss«. Und der Hunger der Monarchen war tatsächlich noch nicht gestillt: Als sich der polnische Reststaat reformierte und die erste geschriebene parlamentarische Verfassung Europas entstand, fielen
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