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Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch

Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch

Titel: Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Großbongardt
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zunutze. König Matthias Corvinus von Ungarn brachte 1469 ganz Schlesien samt Ober- und Niederlausitz unter seine Herrschaft. Die Jahrzehnte der auf Ungarn hin orientierten Herrschaft wurden für die Weiterentwicklung Schlesiens grundlegend. Das aus vielen Fürstentümern zusammengesetzte Land erhielt eine gemeinsame Verfassung aller »Fürsten und Stände« mit einem ständischen Landesparlament und einem obersten Gericht. Zwangsläufig lag Schlesien damals in einer politischen Reichsferne. In diesen Jahren wurde jedoch im Reich beraten, welche Stände und Länder zukünftig auf dem deutschen Reichstag vertreten sein sollten. Als Schlesien 1526 an das Haus Habsburg fiel und damit in das Reich zurückkehrte, war die Reichsreform von 1495 abgeschlossen – und zwar ohne Schlesien einzubeziehen. Ein Reflex dieser Episode spiegelt sich in der Nationenverfassung der Universität Wien wider, wo die schlesischen Studenten der ungarischen Nation
zugerechnet wurden. Leipzig übernahm die Prager Tradition und zählte sie zu den Polen. Anderenorts, im italienischen Siena oder im spanisch-niederländischen Löwen, galten die schlesischen Studenten als Deutsche.
    Nach dem Tod des jungen ungarischen Königs Ludwig II. 1526 im Türkenkrieg wurde der Habsburger Ferdinand I. Erbe Ungarns, Böhmens und Schlesiens. Damit begann die über 200-jährige Epoche der habsburgischen Herrschaft über Schlesien. Die politische Integration Schlesiens in den eigenen Herrschaftsbereich hatte bei Ferdinand, dem Bruder Kaiser Karls V., Vorrang vor der konfessionellen Bewegung, die ein Jahrzehnt zuvor begonnen hatte.
    Martin Luthers Reformation hatte den schlesischen Adel und die Städte ebenso früh erfasst wie im übrigen Deutschland. Noch immer gab es in Schlesien große Landstriche, vorwiegend rechts der Oder und in Oberschlesien, in denen die Bevölkerung Polnisch sprach. Sie schloss sich mit ihren deutschen Nachbarn der Reformation an. Die evangelische Kirche bestellte daher neben dem deutschen oft einen »Pastor polonicus«, bis die Nachfrage nach polnischen Gottesdiensten allmählich erlosch. Nur Oberschlesien blieb, abgesehen vom städtischen Bürgertum, polnischsprachig geprägt und wurde in der Gegenreformation wieder katholisch.
    In der Reformationszeit blieben der Breslauer Bischof, die großen Landklöster und eine Minderheit der Bevölkerung beim alten Glauben. Die fluktuierende Bikonfessionalität Schlesiens wurde seither ebenso eine Konstante seiner Geschichte wie seine Zweisprachigkeit. Wo Katholiken und wo Protestanten lebten, war aber keine Frage der Sprache, sondern der Kirchenhoheit und der Bildungsorientierung. Schlesien kannte in der Frühen Neuzeit keine Nationalitätenkonflikte, sondern nur den Streit um den rechten Glauben. Das Haus Habsburg hatte lange eine konfessionelle
Einigung angestrebt. Nach dem Konzil von Trient (1545 bis 1563) waren die Gegensätze jedoch verfestigt. Die alte Kirche besann sich auf ihre eigene Kraft. Sie ging im Zusammenspiel mit etlichen gegenreformatorischen Fürsten daran, das verlorene Terrain zurückzugewinnen. Die Folge war eine Konfessionalisierung aller gesellschaftlichen und politischen Fragen. Kompromisse zu finden, wie dies in Schlesien, diesem Hort der Toleranz, lange möglich war, wurde schwieriger.
    Die Gründe für den Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges (1618 bis 1648) lagen fernab von Schlesien. Das Land hatte sich nur widerwillig der Revolution des böhmischen »Winterkönigs« Friedrich I. angeschlossen. Gleichwohl wurde es ab 1626 zum Kriegsschauplatz, nicht weil hier innere Konflikte ausgebrochen wären, sondern weil die feindlichen Heere ihre Kämpfe hierher verlagerten, um sich aus dem Land zu versorgen. Das bis dahin reiche Schlesien behielten die Schweden und andere als Faustpfand, wenn nicht gar als territoriales Kriegsziel. Im Krieg verschärfte die habsburgische Regierung ihre Konfessionspolitik. Kriegsnot, religiöser Zwang und Verzweiflung beschädigten das Vertrauen der Bevölkerung in die habsburgische Landesherrschaft.
    Als in Münster und Osnabrück über den Frieden beraten wurde, durften die schlesischen Protestanten nicht mitreden. So wie der Kaiser keinen Fußbreit Schlesiens an seine Gegner abzutreten bereit war, so wenig ließ er sich auf ein Mitspracherecht der schlesischen Protestanten ein. Er suchte 1648 für die strittigen Konfessionsfragen eine politische Lösung.
    Für einige Landesteile musste er auf ältere Fürstenrechte Rücksicht nehmen. In den

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