Die Deutschen
Führung und handeln ohne jeden Plan.
Die Führer versammeln sich um diese Zeit im Berliner Polizeipräsidium: siebzig Revolutionäre Obleute, zehn Vorstandsmitglieder der Berliner uspd, zwei Soldaten- und ein Matrosen-Vertreter, Liebknecht und Pieck als Vertreter der kpd, dazu Eichhorn. Sie alle stehen völlig unter dem Eindruck der Massendemonstration und der Massenaktionen. Der einzige Unsicherheitsfaktor scheint das Militär zu sein. Als der Vertreter der Volksmarinedivision erklärt, daß die Berliner Truppen in ihrer Mehrheit hinter den Revolutionären Obleuten stünden und bereit seien, gegen die Regierung zu kämpfen, hört man das gerne und glaubt es. Es wird beschlossen, für den 6. Januar die Berliner Arbeiter und Soldaten aufzurufen: zum Sturz der Regierung Ebert-Scheidemann und zur Eroberung der »Macht des revolutionären Proletariats«. Zur Leitung des Kampfes bildet sich ein Revolutionsausschuß aus 33 Mitgliedern. Vorsitzende: Georg Ledebour, Karl Liebknecht und Paul Scholze. In der Nacht noch ergeht folgender Aufruf: »Arbeiter! Soldaten! Genossen! Mit überwältigender Wucht habt ihr am Sonntag euren Willen kundgetan, daß der letzte bösartige Anschlag der blutbefleckten Ebert-Regierung zuschanden gemacht werde. Um Größeres handelt es sich nun. Es muß allen gegenrevolutionären Machenschaften ein Riegel vorgeschoben werden! Deshalb heraus aus den Betrieben! Erscheint in Massen heute 11 Uhr vormittags in der Siegesallee. Es gilt die Revolution zu befestigen und durchzuführen. Auf zum Kampf für den Sozialismus! Auf zum Kampf für die Macht des revolutionären Proletariats! Nieder mit der Regierung Ebert-Scheidemann!«
Weitere Anweisungen erteilt der Revolutionsausschuß nicht; er spricht auch nicht von konkreten, näherliegenden Zielen.
Am Morgen des 6. Januar setzt der Generalstreik der Berliner Arbeiter ein. Schon in den frühen Vormittagsstunden finden in vielen Stadtteilen Kundgebungen statt. Und am Vormittag beginnt eine der größten Demonstrationen, die Berlin je erlebt hat: über eine halbe Million Menschen ziehen mit roten Fahnen durch das Zentrum. Überall werden Waffen gefordert. Auf Initiative von Revolutionären Obleuten werden aus den staatlichen Depots und Werkstätten in Spandau und Wittenau Waffen nach Berlin gebracht; etwa 3000 Arbeiter erhalten Gewehre.
Doch der Revolutionsausschuß, der pausenlos im Marstall tagt, bringt es nicht fertig, die kampfbereiten Massen zu organisieren und zu führen. Als Vertreter von Soldatenräten sich bereit erklären, sich bei ihrer Truppe für den Revolutionsausschuß einzusetzen, wenn ihnen versichert werde, daß die Regierung nicht mehr existiere, tippt Wilhelm Pieck schnell auf einer Schreibmaschine: »Kameraden! Arbeiter! Die Regierung Ebert-Scheidemann hat sich unmöglich gemacht. Sie ist von dem unterzeichneten Revolutionsausschuß der Vertretung der revolutionären sozialistischen Arbeiter und Soldaten (Unabhängige sozialdemokratische Partei und Kommunistische Partei) für abgesetzt erklärt. Der unterzeichnete Revolutions-Ausschuß hat die Regierungsgeschäfte vorläufig übernommen. Kameraden! Arbeiter! Schließt Euch den Maßnahmen des Revolutionsausschusses an. Berlin den 6. Jan. 1919 Der Revolutionsausschuß.« Unterzeichnet ist diese Erklärung von Ledebour, Liebknecht und Paul Scholze. Durchschläge werden bald darauf in mehreren Kasernen verlesen.
Aber die Versuche, Soldaten und Matrosen für die »neue Regierung« zu gewinnen, scheitern ebenso wie der Versuch, die Berliner Stadtkommandantur und das preußische Kriegsministerium zu besetzen.
Währenddessen beraten die Volksbeauftragten in der Reichskanzlei mit dem Zentralrat und dem neuen preußischen Kriegsminister, Oberst Reinhardt. Ebert erinnert sich an die Freikorps, die rings um Berlin von konterrevolutionären Offizieren aufgestellt werden. Noske wird zum Oberbefehlshaber der »Regierungstreuen Truppen in und bei Berlin« ernannt. Er übernimmt den Oberbefehl mit den Worten: »Meinetwegen! Einer muß der Bluthund werden. Ich scheue die Verantwortung nicht!« Dann begibt er sich in den Westberliner Vorort Dahlem und schlägt in einem einstigen Töchterpensionat sein Hauptquartier auf, dessen Aufgabe es zunächst ist, die neuen Freikorps auf den Einmarsch in Berlin vorzubereiten. Aber Ebert erkennt die Gefahr, daß bei weiterem Warten die Front der Aufständischen verstärkt wird, und versucht deshalb mit Truppenteilen, die in Berlin stehen, »die Spartakisten
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