Die Diagnose: Thriller (German Edition)
Ich hatte das Gefühl, mir große Mühe gegeben zu haben, die Geheimnisse anderer Menschen zu wahren, und ich hatte dafür gelitten, während er nur an sich gedacht hatte.
»Oh, Ben«, sagte er vorwurfsvoll, »was glauben Sie, was wir sind, Sie und ich? Wir sind Helfer und Diener. Die sagen: ›Pfeif‹, und wir spitzen die Lippen und pfeifen. Harry war Tom im Weg, und ich habe ihn zu seinem eigenen Besten zur Seite geräumt. Was erwarten Sie denn von mir? Ich habe hinterher versucht, es bei Harry wiedergutzumachen.«
»Womit?«
Felix blickte in seinen Whiskey, seine Augen so trüb wie das Getränk, und kippte ihn runter. »Die Geschichte erzähle ich Ihnen ein andermal«, sagte er.
»Passen Sie auf sich auf, Felix«, sagte ich und stand auf.
»Zu spät.«
Als ich zum Riverside Drive kam, wandte ich mich in Richtung George Washington Bridge. Es war eine klare Nacht, und ich zog den Mantel enger, um es warm zu haben. Ich war so weit gegangen, wie ich konnte, und hatte alles über Greenes Tod herausgefunden, was ich herausfinden konnte. Lange Zeit hatte ich mich an die Hoffnung geklammert, es könnte mich retten, doch diese Hoffnung hatte sich zerschlagen. Greene hatte Harry hintergangen und Lauren erpresst, aber er war unter der Erde und jenseits von Recht und Gesetz. Es gab keinen Beweis dafür, dass Henderson etwas Unrechtes getan hatte, ja, solange Lauren und Harry nicht redeten, gab es auch sonst keine Beweise für irgendetwas. Lauren hatte sich alle Mühe gegeben, ihr Tun zu verschleiern, und er würde sich nicht des Mordes schuldig bekennen.
Es war Zeit, mir einen anderen Job zu suchen.
24
Als ich Joes Stimme hörte, war ich zuerst erleichtert, denn ich hatte gedacht, er hätte mir den Rücken gekehrt. Doch er klang nicht verärgert, seine Stimme war freundlich, aber leise und ernst, als wollte er mich nicht erschrecken. Zwei Tage waren seit meiner Begegnung mit Felix verstrichen, in denen ich viel darüber nachgedacht hatte, wie er Harry hintergangen hatte. Ich wollte ihn dafür verachten, doch das Gefühl war nicht geblieben – an seiner Feststellung, wir seien beide Diener, war etwas Wahres dran, auch wenn es mir noch so unangenehm war.
»Hey, Joe«, sagte ich munter. »Ich dachte, Sie hätten mich gefeuert.«
»Zum Teufel, nein. Ich bin noch hier. Ich dachte nur, Sie wollten einen Anwalt, der Ihnen besser helfen kann, das ist alles. Ich habe mit Ihrem Vater gesprochen. Er sagte, Sie hätten sich unterhalten, und da wollte ich nicht im Weg sein. Haben Sie die Nachrichten gesehen?«
»Was für Nachrichten?«, fragte ich.
Ich glaube, ich wusste es sofort. Ich hatte die Grenzen meines Berufes weit überschritten, und ich hatte mich vor den Folgen gefürchtet, auch wenn ich versucht hatte, es zu verdrängen.
»Schalten Sie den Fernseher ein. Versuchen Sie’s bei CNN.« Seine Stimme klang angespannt, und ich eilte durchs Zimmer, um seiner Aufforderung nachzukommen.
Mir war, als wäre ich an jenen Sonntagmorgen in mein Fitnessstudio zurückversetzt. Diesmal war zwar kein Hubschrauber in der Luft, aber die Nachrichtensprecher sprachen genauso unzusammenhängend über einen Tod, die Szene war ähnlich – eine Nachrichtensprecherin stand in einer Straße in einem Ort am Strand von Long Island, hinter ihr eine Polizeiabsperrung. Am Fuß des Bildschirms lief ein Nachrichtenticker, diesmal mit der Schlagzeile SELIGMAN-TRAGÖDIE. Ich setzte mich benommen davor und merkte, dass ich das Telefon noch in der Hand hielt. Mein Gehirn bekam das einfach nicht auf die Reihe.
»Was ist passiert? Was ist da los?«
»Haben Sie schon mal von diesem Typ gehört? Felix Lustgarten«, sagte er und sprach die letzte Silbe mit einem weichen d. »Er hat mit Shapiro zusammengearbeitet, es heißt, er war ein Freund von ihm. Er hat sich umgebracht, ist in Southampton ins Meer gegangen. Sie haben ihn gerade rausgefischt. Baer hat mich in der Morgendämmerung angerufen. Er ist durchgedreht.«
»O Gott«, sagte ich matt.
»Ben? … Sind Sie noch dran?«
Ich war nach vorn gesunken, den Kopf in die rechte Hand gestützt, das Telefon in der Linken, und hörte seine Stimme nur noch leise. Ich fühlte mich, als hätte in der Nähe jemand auf einer Hundepfeife gepfiffen und ein schrilles Fiepen durch mein Gehirn gejagt. Ich hätte es wissen müssen. Ich hätte ihn daran hindern müssen, dachte ich. Er war selbstmordgefährdet. Klar war er das . Ich dachte daran, wie ich, verärgert über das, was er getan hatte, seine Wohnung
Weitere Kostenlose Bücher