Die Diagnose: Thriller (German Edition)
nicht da?«
»Nein, die Frau hat beschlossen, den Aufenthalt bei den Großeltern zu verlängern, und hat die Kinder für eine Weile dort in der Schule angemeldet. Es ist vermutlich das Beste.«
Nach diesem halbherzigen Versuch, die Auflösung seines Lebens als Strategie darzustellen, blickte er mit rot geränderten Augen in sein Glas.
»Ich habe ein Foto von Ihnen in London gesehen – Sie, Harry, Marcus und Tom Henderson«, sagte ich. »Sie haben bei Rosenthal gearbeitet. Das haben Sie mir nie erzählt.«
»Mir war nicht klar, dass Sie meinen Lebenslauf wollten. Ich merk’s mir fürs nächste Mal.« Er lächelte müde. »Sieht so aus, als hätte Harry Sie unterschätzt. Ungewöhnliche Methoden für einen Arzt, muss ich sagen.«
»Was ist mit Rosenthal, Felix? Warum sind alle so besessen von dem Laden?«, fragte ich. »Henderson scheint ihn geradezu zu lieben.«
Er lächelte. »Schwer zu erklären. An der Wall Street kämpft meistens jeder gegen jeden. Wir haben uns umeinander gekümmert. Wenn uns einer in die Quere kam, waren wir brutal, aber es gab auch Kameradschaft. Wir bildeten uns nicht ein, die Besten zu sein. Wir waren es. Wenn man einmal dort war, ist man immer ein Teil davon. Ich arbeite jetzt sicher zwanzig Jahre für Seligman, aber wenn Sie mich aufschneiden würden, wäre innen drin immer noch Rosenthal.«
»Warum sind Sie dann weggegangen? Sie haben gesagt, Sie wären bei Seligman gewesen, als Harry von New York rüberkam.«
»Nicht direkt. Tom hatte mich gewissermaßen auf eine Mission geschickt. Rosenthal war damals kleiner, eine Partnerschaft ohne viel Kapital. Wir wurden mit Seligman in die Canary-Wharf-Geschichte mit reingezogen und hatten uns finanziell übernommen. Da war sehr viel zu richten. Dann kam Harry in die Stadt, prahlte herum und stieß Drohungen aus. Tom wollte nicht, dass er alles kaputt machte. Sie brauchten jemanden, der ihm auf die Finger schaute. Harry hatte Gefallen an mir gefunden und bot mir einen Job an. Ihm gefiel der Gedanke, jemanden von Rosenthal abzuwerben.«
»Sie haben gesagt, Sie mochten ihn«, sagte ich.
»Rosenthal kann ein kalter Ort sein, und Harry war warm. Tom lachte, er fand die Idee toll. So was gefällt ihm. Jemand denkt, er kriegt ein Schnäppchen, wo er doch nur tut, was Harry will. ›Kommen Sie zurück, wenn wir fertig sind‹, sagte er. Ich wünschte, ich hätt’s getan, aber ich hab’s nie getan. Wir haben den Deal abgeschlossen. Wir haben dafür sogar einen Preis bekommen. Ich brachte Harry dazu, einigen Sachen zuzustimmen, die sie brauchten, er hat es nie gemerkt. Seine Zeit in London lief gut, und er bekam den Spitzenjob bei Seligman. Ich dachte, das wär’s, doch Tom fand, Harry war ihnen was schuldig.«
»Selbst nach zwanzig Jahren noch?«
»Sie sind geduldig, sie warten lange, um die Rendite einzufahren. Als Marcus in Schwierigkeiten geriet, fand Tom, es sei an der Zeit, dass Harry seine Schulden zurückzahlte. Er rief mich an und tat, als wäre es meine Pflicht, Marcus zu helfen. Patriotische Pflicht, Pflicht gegenüber Rosenthal, ich glaube, er macht da keinen Unterschied. Harry war ganz scharf darauf, er fand die Idee toll. Das einzige Problem waren Marcus’ Bilanzen.«
»Die Elemente.«
Felix machte große Augen. Er hatte in ruhigem, leicht abwesendem Tonfall gesprochen, doch bei meinen Worten spitzte er die Ohren.
»Wer hat Ihnen das erzählt? Lauren vermutlich.«
»Wer?«, fragte ich so verständnislos wie möglich.
»Harrys Freundin«, antwortete er vorwurfsvoll. »Sie wissen Bescheid, Ben. Genau wie ich es wusste.«
»Woher wussten Sie es?«
Felix stand ein wenig unsicher auf, nahm unsere Gläser und ging in die Küche, um nachzufüllen. Ich hörte, wie er den Deckel von der Whiskeyflasche schraubte und wie der Eiswürfelbereiter Eiswürfel ausspuckte. Während er in der Küche war, sah ich mich um, und dabei fiel mein Blick auf eine Tür, die in ein Schlafzimmer führte. Sie war nur angelehnt, und durch den Türspalt sah ich ein Kinderbett mit einer Reihe von Plüschtieren auf einem Kissen, die mit ausdruckslosen Gesichtern auf die Rückkehr der Bewohnerin des Zimmers warteten. Sie hatte sie wohl dagelassen, als sie gefahren war, weil sie davon ausging, dass sie zurückkehren würde. Marcus kam zurück, reichte mir mein Glas und setzte sich wieder.
»Harry hat es mir eines Abends erzählt, als wir ein paar Gläser getrunken hatten«, sagte er. »Wir waren in China, um uns bei einer staatlichen Bank mit einem Haufen
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