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Die Diagnose: Thriller (German Edition)

Die Diagnose: Thriller (German Edition)

Titel: Die Diagnose: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Gapper
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ging mir auf, dass er aus dem Book of Common Prayer las, als wären wir in einer anglikanischen Kirche gelandet. Na klar, das ist die Episkopalkirche , dachte ich – sozusagen meine »Marke«. Es war das erste Mal, dass ich die Religion live erlebte und nicht nur Patienten in ihrem Namen behandelte.
    »Ich bin die Auferstehung und das Leben, sagt der Herr«, intonierte er. »Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt.«
    Ich betrachtete ein Buntglasfenster, durch das die Sonne hereinschien, und versuchte, das Weinen von Felix’ Frau auszublenden. Das war nicht leicht, denn sie stieß tiefe, gequälte Schluchzer aus, die klangen, als läge sie selbst im Sterben und ihr Körper bemühte sich verzweifelt, die Lunge mit Sauerstoff zu füllen. Am liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten, um die schmerzlichen Laute nicht hören zu müssen, doch das ging hier nicht. Der erste Psalm war eine Erleichterung – für sie das Stichwort, sich die Nase zu putzen, und für uns Übrigen, zu husten und mit den Füßen zu scharren, bevor die Lesung begann. Es war Psalm 130, und ich hörte gedankenlos zu.
    Ich harre des Herrn;
    meine Seele harret, und ich hoffe auf sein Wort.
    Meine Seele wartet auf den Herrn
    von einer Morgenwache bis zur anderen.
    Nach dem Gottesdienst traten wir hinaus in die Sonne, und ich zog mich an den Rand zurück, um niemanden zu stören. Der Sarg wurde wieder in den Leichenwagen geschoben, und der Priester führte die Trauergemeinde einen Pfad hinauf zu einem Rasenstück mit Blick über Lagerhäuser und Docks. Am Grab erhaschte ich einen Blick auf das kleine Mädchen, auf dessen Spielsachen ich wohl in Felix’ Wohnung einen Blick geworfen hatte. Sie hielt die Hand ihrer Mutter, während der Geistliche den Leichnam der Erde übergab.
    Vor seinen letzten Worten zögerte der Priester einen Sekundenbruchteil: »Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück. Denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.« Die Witwe fing wieder an zu weinen, und ihr Schluchzen mischte sich unter das Poltern, mit dem die Erde auf den Sarg fiel.
    Nachdem ich Felix gegenüber meine Pflicht getan hatte, war ich ungefähr fünfzig Meter den Weg zum Ausgang gekommen, als ich hinter mir Schritte hörte und zwei Mitarbeiter des Geheimdienstes sich zu mir gesellten. Vor Schreck fuhr ich zusammen.
    »Dr. Cowper?« Der Beamte, der mich ansprach, hatte einen rasierten Schädel und trug eine Pilotensonnenbrille, die es unmöglich machte, einen menschlichen Ausdruck in seinen Augen zu erkennen. »Minister Henderson würde gern mit Ihnen reden.«
    Die beiden führten mich zurück in Richtung von Felix’ Grab, wo noch eine Gruppe von Trauernden versammelt war, darunter Harry, der mit dem Priester sprach und das Beste aus seinem Ausflug vom Gefängnis zu machen schien. Doch auf halbem Weg bogen sie zu einem Gebäude aus Beton und Glas ab, das von Wasser umgeben war. Der mit der Pilotenbrille führte mich über eine Brücke, während sein Kumpel zurückblieb.
    Zuerst wusste ich nicht, was für ein Gebäude es war. Es war wie eine Bibliothek mit Reihen von deckenhohen Regalen, die einen Flur säumten, und Stühlen an den freien Stellen. Doch statt Regalböden waren hier ganze Reihen kastenförmiger Nischen mit Glastüren. Endlich begriff ich, dass es eine Urnenhalle war. In jedem Fach stand eine Urne mit der Asche eines Toten. Einige waren aus Messing, andere aus Jade. Die meisten Namen waren chinesisch oder asiatisch, und an einigen lehnten kleine Porträtfotos, daneben Plastikblumen.
    Henderson stand an einer gepolsterten Bank neben einer dieser Urnenwände. Gegenüber war eine Glaswand, die den Blick auf den Rasen freigab, wo Felix gerade bestattet worden war. Ich sah, dass die Trauernden noch am Grab verweilten, doch ich wusste, dass sie uns nicht sehen konnten.
    »Hallo, noch einmal, Dr. Cowper. Sehen Sie sich die ganzen Namen hier an.« Henderson strich mit einem Finger über die Glastüren. »Pui Wah Choi. An Ying Qu. Chinesisches Festland oder Taiwan?, frage ich mich. Ein faszinierender Ort, Green-Wood. Meine Frau hat mich einmal zu einer geführten Bustour überredet. Die vielen Mausoleen der Wohlhabenden des neunzehnten Jahrhunderts. Jetzt sind es die Chinesen aus Sunset Park in Urnen.«
    »Sehr eindrucksvoll«, bemerkte ich, unsicher, wohin das Ganze führen sollte.
    »Und jetzt auch ein Engländer. Obwohl Felix amerikanischer Staatsbürger geworden war, glaube ich.« Er setzte sich auf

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