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Die Diagnose: Thriller (German Edition)

Die Diagnose: Thriller (German Edition)

Titel: Die Diagnose: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Gapper
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die Bank und schlug die Beine übereinander. Ein Hosenbein rutschte hoch, und mein Blick fiel auf einen Kniestrumpf − ganz der Gentleman. »Vor zwei Jahren habe ich ein Empfehlungsschreiben für ihn verfasst, als der Name Rosenthal noch half. Heute würde das Ministerium für Innere Sicherheit Sie wahrscheinlich ausweisen.«
    Er fiel in Schweigen, offensichtlich hatte er es nicht eilig, zum Punkt zu kommen. Ihm war etwas verloren gegangen – die bedrohliche Autorität, deren Zeuge ich in Washington geworden war. Er wirkte ernüchtert und unglücklich.
    »Eine Tragödie«, soufflierte ich.
    »Eine schreckliche Tragödie. Ich mochte Felix. Wir waren zusammen in London, wissen Sie, vor langer Zeit. Warum … warum hat er das getan?«
    Ich sah ihn an und versuchte zu ergründen, ob in seinen Worten ein Vorwurf lag, doch es schien eine harmlose Frage zu sein.
    »Vielleicht hatte er Gewissensbisse, weil er Harry hintergangen hat«, erwiderte ich.
    Ich sagte nicht, was ich meinte, doch Henderson nickte, als müssten wir uns nichts vormachen.
    »Er hat es Ihnen erzählt, nicht wahr? Er muss sehr unglücklich gewesen sein. Ich möchte, dass Sie eines glauben. Was auch immer getan wurde …« Er verzog das Gesicht, als wäre ihm die Gewohnheit, die Verantwortung anderen in die Schuhe zu schieben, so in Fleisch und Blut übergegangen, dass er sich zwingen musste, es nicht zu tun. »Was auch immer ich getan habe, sollte zum Besten sein.«
    Wer hat dir das Recht gegeben, über Harrys Schicksal zu bestimmen?, dachte ich. Sie ärgerte mich, seine halbherzige Reue. Er hatte mit Menschen gespielt, und er hatte geglaubt, er habe das Recht dazu, weil seine Bank die Wall Street regierte.
    »Sie haben mir erzählt, wie großartig Rosenthal war – was für ein phantastisches Unternehmen –, aber Sie haben Seligman nicht gerettet, Sie haben Seligman benutzt«, sagte ich. »Greene ist tot, und jetzt ist auch Felix tot. Harry landet womöglich für den Rest seines Lebens im Gefängnis. Dafür gibt es keine Rechtfertigung.«
    Er runzelte die Stirn, und die Falten zeichneten sich tief und schwer ab – das Gesicht eines alten Mannes. »Nicht bei zwei Toten, nein. Ich habe mit dem Präsidenten gesprochen und ihm gesagt, dass es Zeit für mich ist zurückzutreten. Ich hoffe, das genügt Ihnen.«
    Es war eine Bitte um Nachsicht. Er wusste, was Felix aufgedeckt hatte, und wollte nicht, dass ich es öffentlich machte. Ich hatte noch nicht entschieden, was ich mit den Dokumenten tun wollte, die Felix mir vermacht hatte, aber ich war nicht bereit, ihn ungeschoren davonkommen zu lassen.
    »Wohl eher nicht«, sagte ich.
    »Denken Sie darüber nach. Ich muss jetzt gehen«, sagte er und streckte mir die Hand hin. »Machen Sie es gut, Dr. Cowper.«
    Er ging durch einen anderen Ausgang raus zu Felix’ Grab, und ich machte mich wieder auf den Weg zum Friedhofseingang. An einem Steinkreuz in Erinnerung an eine Schottin, die im neunzehnten Jahrhundert gestorben war, blieb ich kurz stehen. Als ich über die Hügelkuppe kam, sah ich, dass Nora mit Harry an ihrem Wagen stand. Die Vollzugsbeamten hatten ihm erlaubt, sich ihr zu nähern, und er beugte sich kurz vor, um sie zu küssen. Dann wurde er fortgeführt, und sie stand ein paar Sekunden allein da und betupfte sich die Augen, bevor sie in ihren Wagen stieg und davonfuhr.
    In dem Augenblick ging an einer Limousine, die in der Nähe des Tors parkte, eine Tür auf, und eine Frau stieg aus. Sie war Mitte fünfzig, groß und imposant, mit hagerem, schmalem Gesicht und Stupsnase, und sie hatte einen Strauß lilafarbener und weißer Blumen in der Hand, in farblich passendes Papier eingewickelt und mit Bindfaden zusammengebunden. Es sah nach einem lässig teuren Arrangement aus, wie man sie in Manhattan fand. Sie hatte ihren Auftritt so geplant, dass die Shapiros nicht mehr da waren, und schritt jetzt den Weg hinauf. Nachdem sie an mir vorbeigegangen war, wandte ich mich um, um ihr zu folgen, denn ich hatte sie erkannt. Es war die Frau, die Anna in dem Video von der Anhörung vor dem Senat die Hand auf den Arm gelegt hatte.
    Im Gleichschritt, ich zwanzig Schritte hinter ihr, gingen wir zu Felix’ Grab. Der Weg war hart unter den Füßen, und ihre Absätze knirschten bei jedem Schritt. Der Friedhof hatte sich geleert, und eine Gruppe von Arbeitern machte sich daran, einen Bagger anzuwerfen, um Felix’ Grab zuzuschaufeln. Es war mir zu ungeschützt, um ihr den ganzen Weg dorthin zu folgen, also setzte ich mich

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