Die Diagnose: Thriller (German Edition)
ungläubig.
»Vor einer Grand Jury ausgesagt.«
»Was?«
Sie schnappte nach Luft. Ihr Gesicht war puterrot geworden vor Schock, und es verschaffte mir eine gewisse Genugtuung, sie aus der Fassung gebracht zu haben, wenn auch nur vorübergehend. Sie trat ans Fenster mit dem Blick über die Queensboro Bridge und blieb dort reglos stehen, als bräuchte sie Zeit zum Nachdenken. Kaum hatte sie sich wieder gesammelt, schlug die Welle der Empörung um in einen Sturm des Zorns.
»Ich höre zum ersten Mal etwas von dieser Grand Jury, und Sie haben ausgesagt, ohne mich überhaupt zu informieren? Was zum Teufel haben Sie denen gesagt?«
Ich genoss den Augenblick, denn ich hielt ihr Schicksal in meinen Händen, und sie musste warten, bis ich es ihr erzählte. In Wirklichkeit hatte ich Baer nicht erzählt, dass sie mich gezwungen hatte, Harry zu entlassen, denn er hatte mich nicht danach gefragt. Doch ich war entschlossen gewesen, es ihm zu sagen, falls er danach fragte. Ich hatte aufgehört, Rücksicht auf Duncan zu nehmen – sie konnte nichts tun, um mich zu retten.
»Ich stehe unter Eid, meine Aussage vertraulich zu behandeln.«
Zugegeben, das war kindisch – so hieß es zwar in der Vorladung, aber wenn ich es gewollt hätte oder wenn ich ihr vertraut hätte, hätte ich es ihr erzählen können. Duncan ging natürlich davon aus, dass ich es ihr nicht sagen wollte, weil ich sie mit reingezogen hatte.
»Dr. Cowper«, sagte sie, »wir haben darüber gesprochen, wie wichtig es ist zusammenzuhalten und dass das Krankenhaus hinter Ihnen steht. Mir scheint, Sie haben mein Vertrauen missbraucht.«
Bei unseren bisherigen Gesprächen war es mir, wie ich fand, recht gut gelungen, die Fassung zu wahren, doch jetzt verlor ich die Beherrschung.
»Ich habe nicht darum gebeten, Mr Shapiro zu behandeln. Sie wollten das. Mein Fehler war es, Ihnen zu gehorchen.«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen«, erwiderte sie bestimmt, senkte den Blick und tat, als müsste sie eine unsichtbare Falte an ihrem Rock glatt streichen.
»Unsinn. Sie haben mich von Anfang an unter Druck gesetzt zu tun, was die Shapiros wollten, und dann wollten Sie das alles nicht mehr wahrhaben.«
Sie starrte mich an, als verstünde sie nicht, wie ich mich so aufführen konnte: Warum tut er nicht, was ich sage? Was ist los mit ihm? Ich verstand es selbst nicht ganz. Ich wusste nur, dass es mir besser ging, weil ich ihr endlich die Stirn bot.
»Gut, wenn Sie aus reiner Sturheit Ihre Karriere zerstören möchten, dann kann ich Sie nicht daran hindern. Sie haben der Grand Jury womöglich ein paar Phantasien darüber erzählt, was Sie getan haben und warum. Zu gegebener Zeit werde ich diese Einrichtung schützen, indem ich die Wahrheit sage.«
Reiner, purer Zorn, wie ich ihn noch nie empfunden hatte, stieg in mir auf. Wie konnte sie es wagen, mir einen Vortrag über Ehrlichkeit zu halten, wo sie selbst die dreisteste Lügnerin war?
»Sie haben nie die Wahrheit gesagt. Sie wissen doch gar nicht, was das heißt«, brüllte ich sie an.
Duncan beachtete meinen Ausbruch gar nicht weiter. Sie ging zu ihrem Schreibtisch und schlug eine Akte zu, als ginge es mich nichts mehr an. In diesem Augenblick wusste ich, dass ich zwar ein bisschen Spaß gehabt hatte, sie aber niemals besiegen konnte. Sie leitete diesen Laden, und jetzt, wo ich mich gegen Harry gewandt hatte, würde Nora sich nicht mehr bei ihr dafür verwenden, dass sie mich rettete. Das Krankenhaus würde mich genauso fallen lassen, wie Seligman sich seiner entledigt hatte – das Unternehmen würde sich schützen.
»Ich erwarte Ihre Kündigung«, sagte sie.
Ich hatte nicht mit Rebecca gesprochen, seit sie meinen Kopf verarztet hatte. In den Fluren des Krankenhauses hatte ich sie gelegentlich von Weitem gesehen, wenn sie mit jemandem sprach oder irgendwo hineilte; ein kurzer Blick auf grünen OP-Kittel und blaue OP-Haube. Einmal hatte ich den Eindruck gehabt, sie hätte mich aus dem Augenwinkel wahrgenommen und sich abgewandt, um mir nicht zu begegnen. Sie tauchte schließlich auf, als ich nach meiner Unterredung mit Duncan in meinem Büro stand und überlegte, wie viele Kartons ich brauchen würde, um meine Habseligkeiten einzupacken.
»Hey, du«, sagte sie.
Ich wandte mich um und musterte ihr Gesicht. Die Erinnerung ist seltsam: Wenn jemand, den wir lieben, uns verlässt, verblasst nach einer Weile sein Bild. Nur wenn die Trennung für immer ist, ist es auf ewig in unsere Erinnerung eingegraben. Ich habe das
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