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Die Diagnose: Thriller (German Edition)

Die Diagnose: Thriller (German Edition)

Titel: Die Diagnose: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Gapper
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stehst unter großem Druck und du hast ihm nicht alles erzählt. Er meint, du steckst in Schwierigkeiten. Ich habe Ende der Woche einen Termin in Washington, also dachte ich, ich mache einen kleinen Umweg und schaue, ob ich dir helfen kann.«
    Ich sah mich in der Bar um, in der sich frühabendliche Gäste drängten. Kellner gingen mit Tabletts mit Drinks und silbernen Schalen mit Nüssen und anderen Knabbereien zwischen den Tischen umher. Gegenüber saß ein weißhaariger Geschäftsmann neben einer blassen Schönheit – vielleicht seine Tochter, vielleicht seine Geliebte. Ich hätte meinem Vater dankbar sein sollen, dass er hergekommen war, doch es ärgerte mich, aber ich war zu fertig, um richtig sauer zu sein. Warum spielte er jetzt den besorgten Vater, wo es ihn früher nie interessiert hatte? Er war genau in dem Augenblick gekommen, als es zu spät war.
    »Du hast Joe gesagt, ich wäre geheimnistuerisch«, sagte ich.
    Mein Vater nahm eine Olive von dem Cocktailspieß und kaute sie. Er betrachtete mich argwöhnisch und versuchte meine Stimmung abzuschätzen.
    »Du warst mir schon als Kind ein Rätsel«, sagte er.
    »Dann erinnerst du dich an das Geheimnis, das ich für dich gehütet habe.«
    Er war so verblüfft, dass er große Augen machte. Meine Patienten konfrontierte ich routinemäßig mit schwierigen Fragen über Dinge aus ihrer Vergangenheit, die sie verdrängt hatten, doch meinem Vater gegenüber hatte ich nie den Mut dazu aufgebracht. Wenigstens dafür konnte ich Harry dankbar sein – er hatte mir so arg zugesetzt, dass es mir egal war.
    »Ich nehm noch einen. Was ist mit dir?«, fragte er und winkte dem Kellner.
    »Ist das eine gute Idee?«, fragte ich. Doch dann beschloss ich, mich weder als sein Herzspezialist aufzuspielen noch als sein Psychiater. »Ach, zum Teufel. Ich nehm auch noch einen.«
    Während der Kellner den Tisch abwischte und neue Drinks brachte, schwieg mein Vater und lehnte den Kopf nach hinten. Er blickte an die Decke der Bar, als suchte er dort göttliche Inspiration für das, was er sagen wollte. Inzwischen hatte der Geschäftsmann die Hand auf das Bein seiner Begleiterin gelegt. Somit war wohl erwiesen, dass sie nicht seine Tochter war.
    »Die Sache mit Jane«, sagte mein Vater schließlich. »Als du uns an dem Tag erwischt hast. Das ist sehr lange her, nicht wahr? Ich bin überrascht, dass du dich überhaupt daran erinnerst.«
    »Ehrlich? So etwas vergisst man nicht. Ich war noch ein Kind. Wie konntest du mir das antun?«
    Ich zwang mich, ihn anzusehen – denn ich wollte nicht, dass er meiner Empörung auswich –, und zu meiner Überraschung entdeckte ich Schwäche und Scham. Mir war gar nicht in den Sinn gekommen, dass er überhaupt Schuldgefühle empfinden konnte. Er hatte immer den Eindruck erweckt, als würde er sich rasch von da fortbewegen, wo er emotional versagt hatte, und es anderen überlassen, mit den Folgen klarzukommen.
    »Ich weiß«, sagte er leise. »Ich habe deiner Mutter wehgetan und dir auch. Ich habe es vermasselt, da führt kein Weg dran vorbei. Ich wünschte, ich hätte es nicht getan.«
    »Was? Mich zu zwingen, für dich zu lügen?«
    Er seufzte. »Nicht nur das, die ganze Sache. Die Affäre, die Familie so zu zerstören. Ich weiß, dass du mich für einen egoistischen Scheißkerl hältst, aber es hat mich hart getroffen, als deine Mutter starb. Ich hatte das Gefühl, für das, was ich getan hatte, bestraft zu werden. Es hat Jane wehgetan, wie lange ich gebraucht habe, um darüber hinwegzukommen, aber sie war meine Frau gewesen. Das vergisst man nicht.«
    »Und Jane?«
    »Benny, denk über mich, was du willst – Gott weiß, dass ich es verdient habe –, aber hör auf, ihr Vorwürfe zu machen. Es war nicht ihre Schuld.«
    Er trank einen Schluck und seufzte noch einmal. Ich war mir nicht sicher, was ich fühlte. Ein Teil von mir fand, es sei eine meisterhafte Vorstellung von einem Mann, der sich darauf verstand, bei anderen Mitleid zu erwecken – noch eine seiner manipulativen Maschen. Aber es lag auch etwas Authentisches darin. Selbst wenn er nur eine Show abzog, war ich dankbar, dass ihm so viel an mir lag, dass er hergeflogen war, um sie aufzuführen. Schrecklich viele Menschen scheitern an irgendetwas und landen in Therapie oder in der psychiatrischen Notaufnahme, aber Tausende andere machen einfach weiter mit ihrem Leben. Sie tragen einfach in aller Stille die Last der Schuld oder des Versagens. Vielleicht war er einer davon, und ich hatte es nicht

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