Die Diagnose: Thriller (German Edition)
Zeit für mich nehmen.«
Er nickte unprätentiös, als wäre eine halbe Stunde seiner Zeit ein kostbares Geschenk, das er mir freundlich gewährte. Der andere Mann schwieg.
»Wie ich schon am Telefon erwähnte, bin ich Psychiater in New York, und Harry Shapiro war mein Patient. Er hat mir einiges erzählt, was beim Prozess als Beweis vorgebracht werden wird, aber es gibt eine Angelegenheit, die meiner Meinung nach nicht warten kann.«
Henderson sagte nichts, sondern neigte nur den Kopf leicht zu einer Seite, sein Buddhalächeln blieb unverändert. Ich habe keine Ahnung, worauf du hinauswillst, aber ich lausche fasziniert, was am Ende wohl dabei rauskommt, sagte dieses Lächeln.
»Ich habe Mr Shapiro kürzlich in der Strafanstalt Riverhead gesehen, wo er in Untersuchungshaft sitzt. Er hat mir gegenüber geäußert, dass er Ihnen übelwill, weil er Sie genau wie Mr Greene verantwortlich für seine missliche Lage macht. Wenn man bedenkt, dass er bereits zugegeben hat, Mr Greene erschossen zu haben, muss ich das ernst nehmen. Haben Sie von dem Fall Tarasoff gehört?«
Henderson schürzte die Lippen und schüttelte ein paarmal den Kopf, als habe er nicht nur noch nie davon gehört, sondern sehe auch keinen Grund, sich dafür zu interessieren.
»Es ging um eine Frau namens Tarasoff, die von einem Therapiepatienten getötet wurde, nachdem er seinem Psychiater gesagt hatte, er habe es vor«, sagte ich. »Die Gerichte sind zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Therapeut die Pflicht hat, jeden zu schützen, von dem er fürchtet, er könnte durch seinen Patienten zu Schaden kommen. Er ist dann nicht mehr an die ärztliche Schweigepflicht gebunden. Deswegen bin ich hier.«
Das war natürlich nicht der wahre Grund. Harry stellte keine unmittelbare Gefahr für Henderson dar. Doch es hatte mir eine plausible Ausrede geliefert, um einen Termin bei ihm zu bekommen. Ich wollte sehen, wie er auf das reagierte, was ich noch sagen wollte.
Henderson nickte. »Vielen Dank, Doktor. Auch wenn ich mir nicht ganz sicher bin, wozu die Eile notwendig war. Shapiro ist in Haft, nicht wahr? Im Augenblick stellt er doch für niemanden eine große Gefahr dar, oder?«
»Ich hatte trotzdem das Gefühl, ich sollte zu Ihnen kommen. Mr Shapiro hat mir einiges darüber erzählt, was seiner Meinung nach infolge der Fusion zwischen seiner Bank und Mr Greenes Bank passiert ist. Er denkt, dass er betrogen wurde.«
Henderson hatte ein unschuldig verwirrtes Gesicht aufgesetzt. Er besaß eine einschüchternde Präsenz, die − anders als bei Harry − nichts mit Drohungen oder offenkundiger Aggression zu tun hatte. Was sich hier abspielte, war um einiges subtiler: eine wohlwollende Verwirrung darüber, dass irgendjemand seine Version der Wahrheit infrage stellen konnte, es sei denn, er war irregeleitet oder bösartig.
»Tatsächlich? Vermutlich bestand zwischen den beiden eine gewisse Rivalität. Das ist jetzt offensichtlich. Aber ich wüsste nicht, was das mit mir zu tun haben sollte.«
Ich atmete tief durch. »Mr Shapiro behauptet, Sie hätten Druck auf den Vorstand der Bank ausgeübt, ihn an die Luft zu setzen, weil Sie und Mr Greene sich nahegestanden haben, weil Sie beide zusammen bei Rosenthal & Co. gearbeitet haben. Er denkt, dass Rosenthal hinter der ganzen Sache gesteckt hat.«
Henderson rührte sich kaum, und seine Miene war unverändert, doch er hustete einmal und neigte den Kopf dann leicht nach links, um den Mann hinter sich anzusprechen. »Andrew, ich glaube, Dr. Cowper möchte etwas unter vier Augen besprechen. Wären Sie so freundlich?«
Der Mann setzte die Kappe auf seinen Füllfederhalter, schlug sein Notizbuch zu und verließ ohne ein Wort den Raum. Als er fort war, bedachte Henderson mich wieder mit einem Lächeln, das genauso breit war, doch die Wärme darin war auf ein leises Simmern beschränkt.
»Dr. Cowper, verzeihen Sie mir, aber ich muss Sie das fragen: Warum sind Sie hier?«
»Ich war neugierig.«
Diese Antwort schien ihn zu amüsieren, und um seine Augen bildeten sich Fältchen. Dann wurde seine Miene wieder wachsam. »Man hat mir gesagt, dass Sie nicht mehr Mr Shapiros Arzt sind, und Ihr Job im Episcopal steht auf Messers Schneide«, sagte er und tippte mit einem Finger auf die Sessellehne.
»Das stimmt«, sagte ich. Keine Ahnung, woher er das wusste, aber er war wohl in der Position, so etwas herauszufinden, und es hatte keinen Sinn zu lügen.
»Also haben Sie vermutlich das Gefühl, Sie haben nicht viel zu
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