Die Diagnose: Thriller (German Edition)
zur Tür, wo er durch die Glasscheibe blickte, um nach dem Wachmann draußen zu sehen. Dann kehrte er der Scheibe den Rücken und sah mich aufgebracht an.
»Wie es mir damit geht, wollen Sie wissen, Doktor?«, sagte er voller Verachtung. »Mir ist danach, mit ihm dasselbe zu machen wie mit Greene.«
Er hatte mir gegeben, wofür ich gekommen war – eine Drohung gegen Henderson. Mehr brauchte ich nicht, und ich wollte nicht noch mehr Zeit mit ihm verbringen, auch wenn ich nebenher noch ein paar andere nützliche Dinge erfahren hatte. Ich winkte dem Wachmann, stand auf und verließ Harry, der mir bitter hinterherstarrte. Die Straße war frei, als ich vom Parkplatz fuhr, doch ich hielt mich streng an die erlaubte Höchstgeschwindigkeit, bis ich Suffolk County weit hinter mir gelassen hatte. Ich wollte nicht noch einmal nach Yaphank geschleift werden.
Irgendwo auf dem Weg von New York nach Washington, D . C., ungefähr auf Höhe der Chesapeake Bay, überquert man die Grenze zum Süden. Die Luft wird weicher, die Feuchtigkeit steigt, und an der Union Station spuckt der Acela Express einen in einem ganz anderen Land aus. Die Taxis fahren hier langsamer, und das Betragen der Menschen mutet einen im Vergleich zu den Yankee-Cousins ruhiger, ja, fast barock an.
Es war ein strahlender Junitag, die Wahrzeichen der Stadt blitzten in der Sonne, und ich verharrte ein paar Minuten auf dem gepflasterten Abschnitt der Pennsylvania Avenue, wo sich vor dem Zaun des Weißen Hauses ganze Scharen von Touristen versammelten, um meine Gedanken zu sortieren. Ich stand am Rand des Gehwegs gegenüber den acht griechischen Säulen des Finanzministeriums, dessen Granitfassade neben seinem schillernden Nachbarn düster und grau wirkte.
Ich war zeitig gekommen, hatte in New York einen frühen Zug erwischt, und ich zog einen Dollarschein aus der Tasche, um ihn zu betrachten. Darauf waren das zerknitterte Gesicht von George Washington, das Siegel des Finanzministeriums in Grün und Tom Hendersons hingekritzelte Unterschrift. Links, über dem B auf dem Siegel der Federal Reserve Bank of New York, stand in Großbuchstaben ein Versprechen: THIS NOTE IS LEGAL TENDER FOR ALL DEBTS, PUBLIC AND PRIVATE − Diese Banknote ist das gesetzliche Zahlungsmittel zur Tilgung jeglicher Schulden, öffentlicher wie privater. Ich war hier, um nach einer tödlichen Schuld zu fragen.
Nachdem ich die Stufen hochgegangen war und die Sicherheitsüberprüfung hinter mich gebracht hatte, wurde ich eine Steintreppe hinauf in den dritten Stock gewiesen. Auf dem Weg durch einen düsteren Flur sah ich auf einem Zettel nach, auf dem ich mir die Nummer des Büros notiert hatte. Als ich aufschaute, fiel mein Blick zu meiner Überraschung auf den Mann, den ich besuchen wollte. Er stand allein knapp fünfzig Meter den Flur hinunter und sah mir freundlich entgegen. Auf dem C-SPAN-Video hatte ich Senatoren in seiner Gegenwart dahinschmelzen sehen, doch bis zu diesem Augenblick hatte ich nicht begriffen, warum. Er stand in Socken da, mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen, als hätte er alle Zeit der Welt. Er wirkte vollkommen entspannt, mit gelösten Schultern und weichen, wissenden Gesichtszügen, wie ein wohltätiger Monarch. Als ich näher kam, trat er einen Schritt vor und reichte mir die Hand.
»Dr. Cowper, nehme ich an.« Er sprach meinen Namen korrekt aus und deutete ob seiner Anspielung auf viktorianische Förmlichkeit ein Lächeln an.
Dann führte er mich in einen Raum mit hoher Decke, reichlich Stuck und einem Kronleuchter, dem es nicht geschadet hätte, mal abgestaubt zu werden. Es war ein Wohnzimmer, vermutete ich, mit Vorhängen, die in Falten gelegt waren, und Stühlen im Stil Ludwig XV. um einen Mahagonitisch. Als wir eintraten, tauchte von irgendwoher ein junger Mann auf. Er war mollig, hatte ein höfliches Lächeln und eine randlose Brille – einer, der in jeder Menschenmenge untertauchen konnte. Henderson winkte mich zu einem Sessel und setzte sich mir gegenüber, während der junge Mann ein paar Schritte hinter ihm Platz nahm wie ein Souffleur.
Wie ich so dasaß und das ganze Gewicht der Geschichte und der Autorität sich auf mich herabsenkte, traten mir Schweißperlen auf die Stirn. Ein Impuls hatte mich hergeführt, die Entschlossenheit, Greenes Betrugsmanöver dürfe nicht mit ihm sterben, doch der Vorwand, unter dem ich hier war, kam mir plötzlich sehr fadenscheinig vor.
»Sie wollten mich sehen«, sagte Henderson.
»Vielen Dank, dass Sie sich
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