Die Diagnose: Thriller (German Edition)
verlieren. Wenn Sie mir die Formulierung verzeihen, Sie sind eine tickende Zeitbombe. Richtig?«
Unter der äußerlichen Ruhe war zu erkennen, dass ich ihn in Unruhe versetzt hatte. Vielleicht glaubte er, ich würde die Kontrolle verlieren und wäre bereit, ihn bloßzustellen.
»Vielleicht.« Ich nickte.
»Ich will mich Ihnen gegenüber nachsichtig zeigen, ganz unter uns, und Ihre Neugier befriedigen. Sagen Sie mir, warum Marcus sterben musste.«
»Ich glaube, Grayridge steckte in Schwierigkeiten, und Greene brauchte einen Retter in der Not. Mit diesen Hypothekenpfandbriefen – den Elementen – stimmte etwas nicht. Sie waren bei Rosenthal, und er hat Ihnen vertraut. Vielleicht haben Sie ihm geraten, mit Seligman zu fusionieren, um einen Konkurrenten auszuschalten. Zu der Zeit, als Seligman in Schwierigkeiten geriet, waren Sie hier. Sie haben der Bank aus der Klemme geholfen, und dann haben Sie dafür gesorgt, dass Greene sie übernommen hat.«
»Und sein Tod?«
»Mr Shapiro ist dahintergekommen, was passiert ist, auch wenn ich nicht genau weiß, wie. Es hat ihn so aufgebracht, dass er Greene erschossen hat. An Sie ist er nicht rangekommen.«
Henderson tippte nachdenklich mit den Fingerspitzen, während er darüber nachsann, und dann lächelte er wieder. Er wirkte nicht besonders empört darüber, dass ich ihn eines solchen Komplotts beschuldigte, um Seligman und die US-Regierung zu betrügen.
»Eine interessante Theorie. Sie glauben also, es gab eine Art Verschwörung, in der auch Rosenthal drinhing, ja? Da sind Sie nicht der Einzige. Es ist ein exzellentes Unternehmen, das viele Menschen hervorbringt, die in den Staatsdienst gehen. Zuweilen sehen sie sich mit derlei Anschuldigungen konfrontiert, die selten auf Fakten beruhen und meistens auf Klatsch. Wir sind das leider gewohnt.«
Während er sprach, hob er die Stimme, und zum ersten Mal blitzte in seinen Augen eine Spur von Leidenschaft auf. Er echauffierte sich mehr darüber, dass ich an Rosenthal zweifelte, als über meine Anschuldigungen gegen ihn − fast als wäre die Bank ein Land, das vor dem Einzelnen käme. Wir , hatte er gesagt.
»Als der Präsident mich ernannt hat«, fuhr er fort, »habe ich alle Verbindungen zu Rosenthal gekappt und meine sämtlichen Unternehmensanteile verkauft, was, lassen Sie sich das versichern, finanziell gesehen keine gute Entscheidung war. Es gibt viele Interessenskonflikte an der Wall Street, und wer nicht angemessen damit umgeht, ist schnell raus aus dem Geschäft. Mr Greene und ich haben einmal bei derselben Bank gearbeitet. Mehr haben Sie nicht?«
»Ich glaube, da steckt mehr dahinter.«
»Nach allem, was Sie gesagt haben, nicht. Sie haben keinerlei Beweise, nur die Phantasien eines Psychiatriepatienten. Wie ich dem Senat schon sagte, der Vorstand hat sich für Marcus entschieden, ohne mich zurate zu ziehen. Aber wissen Sie was, Dr. Cowper? Ich hätte an seiner Stelle genau dasselbe getan. Er war ein phantastischer Banker und ein guter Chef. Shapiro …«
Er unterbrach sich, als hätte er zu dem Thema Harry vieles zu sagen, was er nicht öffentlich kundtun wollte. In seinen Augen war ein geringschätziges Funkeln, und er stand auf, kaum hatte er den Satz fertig gesprochen, um unser Gespräch zu beenden.
»… war nie ganz stabil.«
Das »nie« ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Als der Acela Express nordwärts in Richtung New York rollte, nachdem mich ein immer noch schweigender Andrew zur Tür gebracht hatte, saß ich am Fenster und überlegte, was es wohl bedeutete. Die Küste von Maryland wurde abgelöst von den mit Brettern vernagelten Reihenhäusern von Baltimore und North Philadelphia, während es in meinem Kopf ratterte. Wäre dieses Wort nicht gewesen, hätte ich meine Niederlage eingestanden, doch irgendetwas daran ließ mir keine Ruhe. Ich war mir sicher, dass Henderson Harry rausgeworfen und Greene an seine Stelle gesetzt hatte, aber das hatte er bestimmt nicht nur aus dem simplen Grund getan, dass Greene ein alter Kollege von Rosenthal war. Das wäre plump gewesen, und Henderson war subtil.
Aber er hatte Harry lange Zeit gekannt, das hatten seine letzten Worte mir verraten. Es gab da eine Geschichte – ein Echo der Vergangenheit.
23
Ein Zitat von John D. Rockefeller, niedergeschrieben auf einer langen Tafel, begrüßte mich, als ich am nächsten Morgen die Wirtschaftsabteilung der New York Public Library in der Madison Avenue betrat: Man sollte nicht nur alles über das eigene Geschäft
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