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Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Titel: Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. Gilbert Welch , Lisa M. Schwartz , Steven Woloshin
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Röntgenbildes.
    Der Befund »Sinusitis« kam für mich völlig unerwartet. Ich hatte keine Symptome; die Anomalie war eine totale Überraschung. Überraschende Befunde sind, wie Sie sich denken können, häufig Überdiagnosen. Wenn Menschen Symptome aufweisen, sind die Anomalien, die unsere Diagnosetechnik entdeckt, möglicherweise keine völlige Überraschung, aber sie können dennoch zweifelhaft sein. Vielleicht erklären die Anomalien die Symptome, vielleicht nicht. Genau das ärgerte mich in der Klinik Warm Springs. Bei allen meinen Patienten mit Erkältungssymptomen schienen die Röntgenbilder der Nebenhöhlen Anomalien zu zeigen. Aber war Sinusitis wirklich die Erklärung für ihre Symptome?
    Die klassischen Symptome der Sinusitis überschneiden sich zu einem großen Teil mit denen des Schnupfens: laufende Nase, Niesen, Husten und Kopfschmerzen. Als ich in der Klinik Warm Springs arbeitete, basierte die Diagnose »Sinusitis« auf einem Symptomkomplex und dem Befund gewöhnlicher Röntgenaufnahmen. Heute benutzen wir Computertomografen. Sie können eine Menge Anomalien in den Nebenhöhlen feststellen. Wegen der Überschneidung der Symptome untersuchte eine Studie erkältete Menschen mit einem Computertomografen (CT), um herauszufinden, ob sie auch an Sinusitis litten. Die Forscher gaben eine Anzeige auf, die »Freiwillige mit einer frischen Erkältung« suchte, und einunddreißig junge Erwachsene meldeten sich. 1 Jeder Teilnehmer hatte seit weniger als vier Tagen Erkältungssymptome gehabt, und jeder stimmte einer CT-Aufnahme seiner Nebenhöhlen zu. Die Ergebnisse waren verblüffend: Bei 87 Prozent (siebenundzwanzig von einunddreißig) der Freiwilligen war auf den Bildern eine Nebenhöhlenentzündung erkennbar. Mit anderen Worten: Wenn wir gründlich genug nachforschen, hat fast jeder, den ein Schnupfen plagt, auch Sinusitis.
    Aber die meisten Ärzte würden sagen, dass Sinusitis und Schnupfen zwei verschiedene Diagnosen sind. Wir würden sagen: Erkältungen kommen viel häufiger vor und sind weniger gefährlich als Sinusitis, und die meisten erkälteten Menschen haben keine Sinusitis. Und wir behandeln beide Gruppen mit Sicherheit unterschiedlich: Nebenhöhleninfekte werden in der Regel mit Antibiotika behandelt, Erkältungen nicht. Aber eine CT-Aufnahme macht die Situation zweideutig. Wenn wir diese Diagnosetechnik verwenden, können wir offenbar bei den meisten erkälteten Menschen auch Sinusitis diagnostizieren. Aber das wäre eine Überdiagnose – der Zustand fast aller Studienteilnehmer normalisierte sich innerhalb von zwei Wochen, und keiner hatte Antibiotika bekommen.
    Bei Erkältungen lassen nur wenige Ärzte eine CT-Aufnahme anfertigen; aber bei chronischen Nasenbeschwerden benutzen wir dieses diagnostische Instrument häufig. Immer mehr Hals-Nasen-Ohren-Ärzte verwenden in ihrer Praxis spezielle Nebenhöhlen-Tomografen (googeln Sie mal office sinus CT ). Wenn ein einfaches Röntgenbild imstande ist, bei Menschen, die nicht einmal krank sind (so wie ich), eine chronische Sinusitis zu entdecken, kann man sich vorstellen, was eine CT-Aufnahme bei Menschen mit vagen Symptomen alles findet. Es überrascht daher nicht, dass die Computertomografie zu viel mehr Sinusitisdiagnosen führt.
Mehr sehen, mehr entdecken, mehr tun
    Sinusitis ist nur ein Beispiel für ein allgemeines Problem. Unsere Diagnosetechnik ist derart ausgefeilt, dass wir mehr zweideutige und überraschende Anomalien entdecken. Beide können einen Kreislauf in Gang setzen: Weitere Tests – einschließlich neuer CT-Aufnahmen – enthüllen noch mehr zweideutige und überraschende Befunde. Und mehr Befunde führen letztlich zu mehr Behandlungen, obwohl viele auf Überdiagnosen beruhen.
    Um diesen Kreislauf – mehr sehen, mehr entdecken, mehr tun – in Gang zu setzen, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: 1. Ärzte müssen den Computertomografen häufiger einsetzen (oder Tomografen mit höherem Auflösungsvermögen benutzen), und es muss 2. ein Reservoir von Anomalien geben, die der Tomograf finden kann.
    Mehr CT-Schichtaufnahmen
    Zweifellos machen wir jedes Jahr mehr CT-Aufnahmen, und deren Auflösung wird immer besser (ob das wirklich besser ist, überlasse ich Ihrem Urteil). Wissenschaftler haben durch Befragungen festgestellt, dass die Zahl der CT-Aufnahmen in den Vereinigten Staaten von rund drei Millionen im Jahr 1980 (damals waren Computertomografen noch ziemlich selten) auf über zweiundsechzig Millionen im Jahr 2006

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