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Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Titel: Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. Gilbert Welch , Lisa M. Schwartz , Steven Woloshin
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oft an Brustkrebs wie Frauen, die etwa zehn Jahre älter sind und nicht geröntgt wurden.

    Abbildung 6.1 Zahl der Brustkrebsfälle in Großbritannien
    Dieser Anstieg ist an sich noch kein Beweis für Überdiagnosen. Es könnte sein, dass die Diagnose in dieser Altersgruppe dank der Mammografie früher gestellt wird und dass diese Krebsfälle ohne die Vorsorgeuntersuchung erst in der Altersgruppe fünfundsechzig bis fünfundsiebzig entdeckt worden wären. Doch sollte die Zahl der Krebsfälle in der Gruppe, die für eine Mammografie zu alt ist, dann nicht sinken? Aber wie Sie sehen, ändert die Mammografie nichts an der Zahl der Krebserkrankungen bei Frauen im Alter von fünfundsechzig bis fünfundsiebzig Jahren.
    Das sind überzeugende Beweise für Überdiagnosen, und viele europäische Vorsorgeexperten machen sich deswegen Sorgen. Einige Tumore, die man durch Mammografie entdeckt, werden mit Sicherheit nie wachsen und klinisch nie auffällig werden. Ein erheblicher Teil von ihnen scheint sogar zu schrumpfen. 22
    In den Vereinigten Staaten sieht es noch düsterer aus. Wir haben nie ein landesweites Vorsorgeprogramm eingeführt, und selbst wenn wir es tun würden, gäbe es kein Gesundheitssystem, das alle teilnahmeberechtigten Frauen gleichzeitig erreichen würde. Deshalb können wir nicht genau sagen, wann die Vorsorgeuntersuchungen für Brustkrebs in den Vereinigten Staaten begonnen haben. In den siebziger und achtziger Jahren unterzogen sich nach und nach immer mehr Frauen einer Mammografie. Abbildung 6.2 zeigt deren Einfluss auf die Brustkrebsdiagnosen. Die Grafik stützt sich auf die SEER-Daten.
    Die kleine Spitze im Jahr 1974 hat einen interessanten Hintergrund. Vielleicht haben Sie bemerkt, dass die Grafik zwei Jahre früher beginnt als die Grafiken in den bisherigen Kapiteln, nämlich 1973 statt 1975. Da ich wusste, dass diese Spitze vorhanden war, verlangte ich auch die Daten für 1973 und 1974. Die Spitze spiegelt den Betty-Ford-Effekt wider.
    Davon erfuhr ich als Student im Fachbereich öffentliche Gesundheit an der University of Washington. Bei Betty Ford wurde 1974 Brustkrebs diagnostiziert – wenige Wochen, nachdem ihr Mann Präsident der Vereinigten Staaten geworden war. (Ironischerweise wurde zwei Wochen später auch bei Happy Rockefeller, der Frau des Vizepräsidenten, Brustkrebs festgestellt.) Betty Ford redete sehr freimütig über ihre Diagnose. Bis dahin war kaum öffentlich über Brustkrebs gesprochen worden. Angeblich war sie die erste Prominente, die ihren Brustkrebs mit der Welt teilte und öffentlich für die Früherkennung eintrat.
    Die Publicity rund um ihren Krebs gab der müden Kampagne für die Teilnahme am Mammografieprogramm des Nationalen Krebsinstituts und der Amerikanischen Krebsgesellschaft einen enormen Schub. Kurz gesagt, im Jahr 1974 unterzogen sich viele Frauen zum ersten Mal einer Mammografie, und die Zahl der Krebsdiagnosen schnellte nach oben. Der Betty-Ford-Effekt erinnert uns nachhaltig daran, dass die Zahl der Krebsfälle, die wir finden, davon abhängt, wie intensiv wir suchen.

    Abbildung 6.2 Neue Diagnosen und Brustkrebs-Todesfälle in den Vereinigten Staaten von 1973 bis 2005
    Schauen wir uns nun das Gesamtbild näher an. Als die Mammografie in den siebziger und achtziger Jahren eingeführt wurde, erhöhte sich die Zahl der Brustkrebsdiagnosen um rund 50 Prozent. Ein Teil dieses
Anstiegs könnte auf einer echten Zunahme der Erkrankungen beruhen. Mögliche Ursachen dafür waren zusätzliche Risikofaktoren wie spätere Schwangerschaften und die häufigere Anwendung der Hormonersatztherapie. Aber die meisten Forscher, die das Phänomen zu erklären versuchten, räumten ein, dass die Mammografie dabei eine große Rolle spielte. 23 (Die neuerdings sinkende Beteiligung an der Mammografie könnte der Grund für den Rückgang der Neudiagnosen nach 2000 sein, ebenso die seltenere Anwendung der Hormonersatztherapie.)
    Es gibt noch mehr Hinweise auf Überdiagnosen, aber diese können Sie auf der Abbildung nicht sehen. Bei vielen neuen Diagnosen handelt es sich um duktale Karzinome in situ (Oberflächenkarzinome in den Milchgängen), abgekürzt DCIS. Ein DCIS ist ein winziger Brustkrebs, der sich im Gegensatz zum invasiven Brustkrebs nicht über den Milchgang hinaus ausgebreitet hat. Im Grunde gibt es nur eine Möglichkeit, die Diagnose »DCIS« zu bekommen: mithilfe einer Mammografie. Manche Ärzte glauben, dass sich daraus meist ein invasiver Krebs entwickelt; andere sind

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