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Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Titel: Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. Gilbert Welch , Lisa M. Schwartz , Steven Woloshin
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kleiner. Er war nicht übersehen worden. Sie hatte sich nach sechs Monaten noch einmal röntgen lassen und erfahren, dass der Tumor nicht gewachsen war. Bemerkenswert ist, dass diese Aufnahmen neun Jahre alt waren. Sie hätte also im Alter von sechzig Jahren zur Patientin werden können, und die Folgen wären die Gleichen gewesen. Nun war sie froh darüber, dass die Diagnose erst später gestellt worden war. 17
Mammografie und Überdiagnosen
    Verbreitete Angst vor Brustkrebs, mehr Fälle von falschem Alarm und Frauen, die zu früh zu Patientinnen werden – das alles sind Nachteile der Mammografie. Für jeden einzelnen Patienten aber ist keiner von ihnen so schädlich wie die Überdiagnose. Und wie Sie wissen, ist ein unentdecktes Krankheitsreservoir die Voraussetzung für eine Überdiagnose.
    Mir liegen sieben Studien vor, deren Autoren mehr als tausend Frauen obduzierten, die keine Brustkrebspatientinnen gewesen und nicht an Brustkrebs, sondern aus anderen Gründen gestorben waren. Bei 2 bis 40 Prozent dieser Frauen fanden Pathologen Beweise für Brustkrebs. 18 Zugegeben, 2 bis 40 Prozent sind eine ziemlich große Bandbreite. Dafür gibt es mehrere Erklärungen. Die einzelnen Studien haben verschiedene Gruppen von Frauen untersucht, vor allem Frauen unterschiedlichen Alters. Wie die meisten Krebsarten kommt auch Brustkrebs häufiger bei älteren Menschen vor. Zudem wenden verschiedene Pathologen zweifellos unterschiedliche Kriterien an, wenn sie entscheiden, welche Anomalien (vor allem kleine Anomalien) als Krebs gelten. Und schließlich waren die Autoren dieser Studien nicht alle gleich gründlich – manche suchten intensiver nach Krebs als die anderen. Eine Forschergruppe untersuchte mehr als zweihundert histologische Schnitte je Brust, eine andere weniger als zehn.
    Doch einerlei, wie variabel die Befunde sein mögen, sie zeigen, dass manche Frauen Brustkrebs haben, ohne es je zu erfahren, es sei denn, wir suchen wirklich gründlich danach. Und jetzt gibt es auch überzeugende Beweise dafür, dass die Mammografie immer mehr Karzinome entdeckt.
    In ganz Europa – einschließlich Dänemark, Italien, Norwegen, Schweden und Großbritannien – stieg die Zahl der auf Mammografien entdeckten Tumore in den achtziger und neunziger Jahren erheblich. Die untersuchten Frauen sind in Europa meist fünfzig Jahre alt oder älter, und die Kosten übernimmt die Krankenversicherung. 19 Für die Forschung ist dies eine sehr günstige Ausgangslage: Ab einem Alter von fünfzig Jahren nehmen die meisten Frauen an der Mammografie teil, während die meisten Jüngeren nicht teilnehmen.
    Gäbe es keine Überdiagnosen, bliebe die Gesamtzahl der Frauen, bei denen Krebs diagnostiziert wird, trotz der Vorsorgeuntersuchung unverändert. Zwar ist zu erwarten, dass die Zahl der Brustkrebsfälle nach dem Beginn der Mammografie zunimmt (einige Frauen haben Krebs, der später offenkundig geworden wäre, aber durch die Mammografie früher entdeckt wird); 20 doch wenn es wirklich keine Überdiagnosen gäbe, würde dieser Anstieg dadurch ausgeglichen, dass man später weniger Tumore entdecken würde. Mit anderen Worten: Wenn alle Tumore, die durch Mammografie früher entdeckt werden, eines Tages klinisch offenkundig würden (meist dann, wenn eine Frau einen neuen Knoten in der Brust findet und deshalb zum Arzt geht), müsste die Zahl der Tumore zurückgehen, die zu einem späteren Zeitpunkt klinisch diagnostiziert werden. Da die Tumore klinisch entdeckt und behandelt werden und die betroffenen Frauen sich im Mammografiealter befinden, sollte dieser Rückgang offenkundig werden, sobald die Frauen wegen ihres Alters nicht mehr zur Mammografie gehen (in Europa meist im Alter von etwa siebenundsechzig bis siebzig). Aber dieser Rückgang ist nirgendwo in Europa zu beobachten.
    Abbildung 6.1 zeigt, was ich meine. Die Daten stammen aus Großbritannien. 21 Die gestrichelten Linien sind »Trendlinien« – sie spiegeln die prognostizierte Brustkrebshäufigkeit wider, die sich aus der Entwicklungstendenz vor Einführung der Mammografie ergibt. Die untere durchgezogene Linie zeigt, was bei Frauen im Alter von fünfzig bis vierundsechzig Jahren (die Mammografie-Altersgruppe) tatsächlich geschah. Bald nach Einführung der Mammografie stieg die Zahl der Brustkrebsfälle stark an. Das war zu erwarten. Unerwartet war, dass die Zahl nicht zurückging: Heute erkranken Frauen im Alter von fünfzig bis vierundsechzig Jahren in Großbritannien praktisch genau so

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