Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)
Was die Mammografie anbelangt, müssen wir also abwägen; denn sie verringert zwar die Sterblichkeit beim Brustkrebs, führt aber auch zu Überdiagnosen.
Abbildung 6.3 Auswirkung einer regelmäßig vorgenommenen Mammografie auf die Zahl der entdeckten invasiven Brustkarzinome
Da Überdiagnosen sich nicht unmittelbar nachweisen lassen, ist es sehr schwierig, ihre Häufigkeit genau zu bestimmen. Zudem ist die Zahl der Überdiagnosen zweifellos unterschiedlich, je nachdem wann ein Radiologe eine Aufnahme für abnorm erklärt und wann er eine Anomalie als Krebs bezeichnet. Die einzige randomisierte Studie, die eine langfristige Verlaufsbeobachtung einschließt, stellte fest, dass tatsächlich eines von vier Karzinomen auf einer Überdiagnose beruht. Denken Sie daran, dass die meisten übrigen Karzinome ebenso gut behandelbar sind, wenn sie klinisch auffallen. Aber einigen wenigen Frauen wird geholfen, und zwar in erheblichem Ausmaß; denn sie entrinnen dem Tod durch Brustkrebs. Unsere besten Schätzungen der Vor- und Nachteile der Mammografie liegen innerhalb einer große Bandbreite: Auf eine Brustkrebspatientin, die vor dem Tod gerettet wird, kommen zwei bis zehn Frauen mit Überdiagnosen.
Das Problem mit den Überdiagnosen ist die Überbehandlung. Die Mammografie führt dazu, dass mehr Frauen eine Lumpektomie (brusterhaltende Entfernung eines kleinen Tumors), eine Brustamputation, eine Strahlentherapie oder eine Chemotherapie über sich ergehen lassen müssen. Das hat Iona Heath – Ärztin und Präsidentin des Royal College of General Practitioners (Berufsverband der britischen Allgemeinärzte) – dazu bewogen, Einladungen zur Mammografie »fröhlich auszuschlagen«. Sie versteht das Anliegen des Vorsorgeprogramms, und sie weiß sehr gut, wie schrecklich Brustkrebs sein kann; denn sie hat Frauen daran sterben sehen. Aber sie weiß auch, dass die Mammografie diese Situation kaum ändern kann und echte Nachteile hat.
Sie fasst die Daten der Cochrane Reviews so zusammen:
»Die Metaanalyse deutet darauf hin, dass von 2000 Frauen, die zehn Jahre lang zur Mammografie eingeladen werden, eine vor dem Tod durch Brustkrebs gerettet werden kann und dass bei zehn gesunden Frauen fälschlich Brustkrebs diagnostiziert wird. Man schätzt, dass diese Überdiagnosen zu sechs zusätzlichen Tumoroperationen und vier zusätzlichen Brustamputationen führen und dass 200 Frauen mit erheblichen seelischen Störungen rechnen müssen, weil die zusätzlichen Untersuchungen wegen einer Anomalie auf der Mammografie Angst auslösen.«
Iona Heath fürchtet, dass sie ihren Entschluss, nicht mehr an der Mammografie teilzunehmen, auf der Grundlage von Informationen gefasst hat, die ihren Patientinnen kaum zugänglich sind.
Wenn Sie Nichtraucherin sind, ist Brustkrebs die Krebsart, über die Sie sich die meisten Gedanken machen sollten. Lassen Sie einen neuen Knoten in der Brust mit einer diagnostischen Mammografie untersuchen. Die meisten Frauen mit Brustkrebs werden geheilt (glücklicherweise auch meine Frau). Einige sterben jedoch daran. Deshalb ist es sicherlich vernünftig, über eine Vorsorgeuntersuchung nachzudenken, um die Brustkrebssterblichkeit zu senken. Aber die Mammografie erhöht eine andere Gefahr: die Gefahr von Überdiagnosen.
Es ist schwierig, sich vernünftig über die Mammografie zu unterhalten. Viele Ärzte und Behörden glauben, die Öffentlichkeit komme mit der Tatsache nicht zurecht, dass die Mammografie einigen nützt und anderen schadet. Sie fürchten, die Frauen von der Teilnahme an der Untersuchung abzuschrecken. Das könnte erklären, warum keines der öffentlich geförderten Vorsorgeprogramme in sieben europäischen Ländern in seinen Informationsbroschüren das Risiko der Überdiagnose erwähnt. 27 Aber wer dieses Problem vertuscht, verschärft es. Wenn die Bevölkerung nichts von den Überdiagnosen erfährt, verschlimmern wir das Problem mit vereinten Kräften. Radiologen prüfen die Röntgenbilder genauer, Pathologen untersuchen die Gewebeproben gründlicher – nicht weil sie Überdiagnosen fürchten, sondern weil sie fürchten, einen Krebs zu übersehen. Ärztezeitschriften ziehen daraus automatisch den Schluss, dass der beste Test immer derjenige ist, der mehr Krebsfälle aufdeckt, nicht weniger. Das Gleiche gilt für die Nachrichtenmedien.
Natürlich gelten diese Bedenken für die Krebsfrüherkennung im Allgemeinen. Ermutigend ist immerhin, dass die Erfahrungen mit dem Prostatakrebs die Haltung der
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